Der Engländer
mit Geduld.
»Ich persönlich habe nie etwas an Drogen gefunden, aber andererseits sehe ich auch nicht, was sie schaden könnten. Was andere Leute ihrem Körper zuführen, geht mich nichts an. Was kümmert's mich, wenn sie ihr Leben und ihre Gesundheit mit diesen Chemikalien ruinieren wollen? Was geht das den Staat an? Weshalb sollten Staaten Unsummen dafür ausgeben, ein Problem zu bekämpfen, das so alt ist wie die Menschheit? Schließlich könnte man behaupten, Adam sei der erste Drogenkons ument gewesen. Gott hat ihm die Frucht vom Baum der Erkenntnis verboten, und der junge Adam hat sie bei erster Gelegenheit zu sich genommen.«
»Ein sehr interessantes Argument, Herr Gessler.«
»Unsere Kritiker sagen, die Schweiz habe am Drogenhandel schon immer sehr gut verdient. Dem müßte ich zustimmen, fürchte ich. Ich bin sicher, daß auch meine eigene Bank Konten von sogenannten Drogenbaronen führ t. Aber was schadet das? Immerhin wird das in der Schweiz angelegte Geld zweckmäßig verwendet. Es wird an legale Unternehmen ausgeliehen, die es in Güter und Dienstleistungen und Arbeitsplätze für Millionen von Menschen umsetzen.«
»Damit sie Geld haben, um Drogen kaufen zu können?«
»Wenn sie das wollen, gewiß. Sehen Sie, das Leben auf der Erde verläuft in Zyklen. Die Natur befindet sich in harmonischem Gleichgewicht - und das globale Finanzsystem ebenfalls. Aber genau wie die Natur durch eine scheinbar kleine Beeinträchtigung aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann, ist das Finanzsystem für Störungen anfällig. Stellen Sie sich die nachteiligen Folgen vor, wenn die Gewinne aus dem Drogenhandel nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf eingespeist würden. Somit erweisen wir Schweizer Bankiers der Weltwirtschaft einen wichtigen Dienst.«
Gessler trank einen kleinen Schluck Tee. Das sah Peterson nicht, aber er hörte es durch das empfindliche Mikrofon, das die brüchige Stimme des Alten verstärkte.
»Aber ich schweife ab«, sagte Gessler, während er seine Teetasse klappernd auf die Untertasse zurückstellte. »Zurück zu unserem eigentlichen Thema. Im Fall Rolfe scheint es weitere Komplikationen zu geben.«
»Haben Sie den Eindruck, daß dieser Mann die Sache auf sich beruhen lassen wird?« fragte Gessler, nachdem Peterson seinen Bericht erstattet hatte.
»Nein, Herr Gessler.«
»Was schlagen Sie also vor?«
»Daß wir schnellstens wieder Ordnung schaffen und sicherstellen, daß es für ihn nichts zu finden gibt.«
Gessler seufzte. »Diese Vereinigung hatte nie den Zweck, Gewalt auszuüben - sie sollte nur verhindern, daß uns Gewalt angetan wird.«
»Im Krieg sind Verluste unvermeidlich.«
»Überwachung und Einschüchterung sind eine Sache - Mord und Totschlag eine ganz andere. Wir müssen jemanden beauftragen, der in keiner Weise mit dem Rat in Verbindung gebracht werden kann. Im Rahmen Ihrer dienstlichen Tätigkeit haben Sie bestimmt solche Leute kennengelernt.«
»Das habe ich.«
Der Alte seufzte.
Gerhardt Peterson nahm den Ohrstöpsel heraus und machte sich auf die Rückfahrt nach Zürich.
7 - KORSIKA
Auf Korsika heißt es seit jeher im Scherz, die berüchtigten kurvenreichen Holperstraßen der Insel seien von Machiavelli und dem Marquis de Sade gemeinsam entworfen worden.
Trotzdem hatte es dem Engländer nie etwas ausgemacht, hier zu fahren. Tatsächlich flitzte er mit einer gewissen fatalistischen Unbekümmertheit, die ihm den Ruf eingebracht hatte, leicht verrückt zu sein, auf der Insel herum. Im Augenblick raste er auf der vom Wind umtosten Küstenstraße im Westen der Insel durch dichten Seenebel. Als er in die Hügel hinauffuhr, wich der Nebel einem klaren blauen Nachmittagshimmel. Die Herbstsonne ließ die unterschiedlichen Grüntöne von Lariciokiefern und Olivenbäumen hervortreten. Im Schatten der Bäume wucherten Stechginster und Dornsträucher und Zistrosen: der als macchia bekannte immergrüne Buschwald Korsikas, in dem Banditen und Mörder jahrhundertelang Zuflucht gefunden hatten. Der Engländer ließ sein Fenster herab. Ein Schwall warmer Luft, die nach Rosmarin duftete, flutete über ihn hinweg.
Vor ihm auf einem Hügel lag das Dorf: eine Ansammlung von sandfarbenen Häusern um einen Kirchturm, halb im Schatten, halb in hellem Sonnenschein. In der Ferne dahinter ragten Berge auf, auf deren höchsten Gipfeln Firnschnee leuchtete. Als der Engländer vor zehn Jahren hier seßhaft geworden war, hatten die Kinder ihm Zeigefinger und kleinen Finger einer Hand
Weitere Kostenlose Bücher