Der Engländer
von Logos von Fluggesellschaften und Flugsteigen wieder und wieder an seinem Fenster vorbeizog. Vor seinem inneren Auge standen andere Bilder: aufzuckende Erinnerungen an vergangene Unternehmungen, alte Kollegen und alte Feinde. Seine Handflächen waren feucht, sein Puls ging schneller. Schamron.
Er hatte es wieder mal geschafft.
»Rolfe hat uns über unsere Botschaft eine Nachricht zukommen lassen«, begann Schamron. »Er wollte sich mit jemandem vom Dienst treffen. Einen Grund dafür hat er nicht genannt, aber wenn ein Mann wie Augustus Rolfe mit uns reden will, bemühen wir uns im allgemeinen, seinem Wunsch zu entsprechen. Er wollte, daß das Treffen streng diskret stattfindet.
Ich habe mich etwas näher mit Rolfe befaßt und festgestellt, daß er Kunstsammler war. Natürlich sind Sie mir als Idealbesetzung für diesen Job vorgekommen, und ich habe dafür gesorgt, daß Sie dafür engagiert wurden, eines seiner Gemälde zu reinigen.
Ein Rubens, wenn ich mich nicht irre.«
»Es war ein Raffael.«
Schamron verzog das Gesicht, als seien ihm solche kleinen Unterschiede gleichgültig. Malerei, Musik, Literatur, das Theater - diese Dinge langweilten ihn. Er war ein Mann der realen Welt.
»Hat Isherwood gewußt, daß der Auftrag nur eine Tarnung war?«
»Julian? Nein, den habe ich auch getäuscht, fürchte ich.«
»Warum arbeiten Sie immer mit Tricks? Warum haben Sie mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?«
»Hätten Sie das an meiner Stelle getan?«
»Nein.«
Ein Neigen des kahlen Schädels, ein weiterer langer Zug an der türkischen Zigarette - Ich schließe mein Plädoyer. »Ich fürchte, die Wahrheit und ich sind einander etwas entfremdet.
Ich bin ein alter Mann, Gabriel. Ich habe mein Leben lang Lügen erzählt. Ich fühle mich mit Lügen wohler als mit der Wahrheit.«
»Ich will aussteigen! Ich will nichts mehr hören!«
»Lassen Sie mich ausreden.«
»Halten Sie die Klappe! Ich will Ihre Stimme nicht mehr hören.«
»Hören Sie mir gefälligst zu, Gabriel!« Schamron schlug mit der Faust auf die Sitzfläche zwischen ihnen. »Augustus Ro lfe, ein Schweizer Bankier, wollte mit uns reden und ist dafür ermordet worden. Ich will wissen, was Rolfe uns mitteilen wollte, und ich will wissen, wer ihn deswegen umgebracht hat!«
»Suchen Sie sich einen anderen, Ari. Ermittlungen in Mordfällen waren nie meine Spezialität. Tatsächlich habe ich mich dank Ihrer Ausbildung eher auf dem gegenteiligen Gebiet hervorgetan.«
»Bitte, Gabriel, wir wollen diesen alten Streit nicht aufwärmen.«
»Sie scheinen sich recht gut mit Peterson zu verstehen.
Spielen Sie wieder den servilen Juden, ist er bestimmt bereit, Sie über den Fortgang seiner Ermittlungen auf dem laufenden zu halten.«
»Augustus Rolfe wurde ermordet, weil jemand wußte, daß Sie nach Zürich kommen würden - irgend jemand, der nicht wollte, daß Sie hören, was Rolfe zu sagen hatte. Jemand, der es darauf angelegt hat, Sie als den Mörder hinzustellen.«
»Sollte das seine Absicht gewesen sein, hat er verdammt schlechte Arbeit geleistet. Als Rolfe ermordet wurde, war ich noch im Nachtzug aus Paris.« Gabriel hatte sich wieder etwas beruhigt. Er war wütend, weil Schamron ihn getäuscht hatte, aber zugleich auch interessiert. »Was wissen Sie über Augustus Rolfe?«
»Die Familie Rolfe hortet seit Hunderten von Jahren Kundengelder in ihren Züricher Tresoren. Sie gehört zu den prominentesten Bankiersfamilien der Schweiz.«
»Wer hätte Grund gehabt, ihn zu ermorden?«
»Über die Nummernkonten bei Rolfes Bank ist viel schmutziges Geld geflossen. Also können wir annehmen, daß er sich im Lauf der Jahre nicht wenige Feinde gemacht hat.«
»Was wissen Sie noch über ihn?«
»Auf der Familie Rolfe scheint ein Fluch zu liegen. Vor fünfundzwanzig Jahren hat Rolfes Frau Selbstmord verübt. Sie hat im Garten seines Landhauses ihr eigenes Grab ausgehoben, sich hineingelegt und sich erschossen. Ein paar Jahre später ist Rolfes einziger Sohn Maximilian als Radrennfahrer tödlich verunglückt.«
»Gibt's in der Familie jemanden, der noch lebt?«
» Seine Tochter. Zumindest hat man nichts Gegenteiliges gehört. Sie heißt Anna.«
» Anna Rolfe ist seine Tochter?«
»Sie kennen sie also? Ich bin beeindruckt.«
»Natürlich kenne ich sie. Sie ist eine der berühmtesten Geigerinnen der Welt.«
»Wollen Sie noch immer aussteigen?«
Gabriel besaß zwei Eigenschaften, die ihn zu einem überragend guten Restaurator machten: pedantische
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