Der Engländer
ich die Polizei!«
Gabriel hätte ihn leicht überwältigen und hinausschleppen können, aber dafür reichte die Zeit vermutlich nicht aus. Er wandte sich ab und eilte zur Tür. Bis er sie erreichte, hatte Müller die Sicherheitsschlösser elektrisch entriegelt. Gabriel trat auf die Straße hinaus und ging in Richtung Hotel Laurens davon.
Und dann detonierte der Sprengsatz - mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag, der Gabriel nach vorn auf alle viere warf. Er rappelte sich auf und ging weiter, während um ihn herum das Echo der Detonation von den eleganten Fassaden der benachbarten Straßen widerhallte. Dann folgte etwas, das im ersten Augenblick an einen Tropenregen erinnerte, aber nur das Glas war, das aus Hunderten von zertrümmerten Fenstern auf die Straße herabregnete. Gabriel hob seine Hände, um sein Gesicht zu schützen, aber nach wenigen Sekunden waren seine Finger rot von Blut.
Die Glaskaskade endete, das Echo der Detonation verhallte in der Ferne. Gabriel widerstand dem Drang, sich nach der Verwüstung umzusehen. Er kannte die Wirkung solcher Bomben und konnte sich die Szene dort hinten vorstellen: brennende Autos, rauchgeschwärzte Gebäude, ein verwüstetes Café, Tote, Verletzte, Blut, die fassungslosen Blicke der Überlebenden. Deshalb nahm er die Hände vom Gesicht, vergrub sie in seinen Jackentaschen und ging mit gesenktem Kopf weiter, während in seinen Ohren eine schreckliche Stille dröhnte.
18 - PARIS
Paris hatte in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viele terroristische Bombenanschläge erlebt, und die Polizei und die französischen Sicherheitsbehörden hatten wirkungsvolle Methoden zur Bewältigung ihrer Folgen entwickelt. Fünf Minuten nach der Detonation waren die ersten Streifenwagen am Tatort. Innerhalb von zehn Minuten wurden die umliegenden Straßen abgeriegelt. Gabriels Renault parkte innerhalb des Polizeikordons, deshalb hatte er zu Fuß flüchten müssen. Die Sonne stand schon tief am Horizont, als er den weitläufigen Güterbahnhof im Süden der Hauptstadt erreichte.
In seinem Versteck in der Ladebucht einer baufälligen Fabrik stellte er jetzt in Gedanken eine Liste der im Kofferraum zurückgebliebenen Gegenstände auf: ein Koffer, ein paar Kleidungsstücke, eine Kamera, ein Rekorder, das Funkgerät, mit dem er Verbindung zu dem Überwachungsteam gehalten hatte.
Wurde der Wagen nicht bald abgeholt, würde die Polizei ihn beschlagnahmen, den Kofferraum aufbrechen und seinen Inhalt untersuchen. Sie würde das Tonband abspielen und entdecken, daß in Werner Müllers Galerie und seinem Telefon Wanzen installiert waren. Sie würde die belichteten Filme entwickeln und Aufnahmen von der Fassade der Galerie Müller finden. Sie würde den Winkel berechnen, aus dem diese Bilder gemacht worden waren, und daraus auf ein Fenster im Hotel Laurens schließen. Sie würde das Hotelpersonal befragen und feststellen, daß im fraglichen Zimmer ein ungehobelter deutscher Drehbuchautor gewohnt hatte.
Gabriels rechte Hand begann schmerzhaft zu pochen. Die Anstrengungen dieses Tages machten sich bemerkbar. Er war nach dem Bombenanschlag ständig in Bewegung geblieben, hatte ein Dutzend Metrolinien benützt und war unzählige Kilometer über belebte Boulevards gelaufen. Von einer Telefonzelle am Jardin du Luxembourg aus hatte er Uzi Navot über die Notfallnummer erreicht.
Als Gabriel jetzt den Kopf hob, sah er zwei Autos, die langsam über die schmale Zufahrt neben dem durchhängenden Maschendrahtzaun heranholperten. Obwohl es schon ziemlich dunkel war, fuhren sie ohne Licht. Dann hielten sie ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt. Gabriel sprang von der Laderampe - der Aufprall der Landung schickte schmerzhafte Erschütterungswellen durch seine verletzten Hände - und ging auf sie zu. Die hintere Tür des ersten Wagens wurde aufgestoßen. Navot hockte zusammengesunken auf dem Rücksitz. »Steig ein«, knurrte er. Anscheinend hatte er zu viele amerikanische Mafiafilme gesehen.
Navot hatte einen Arzt, einen von Ari Schamrons sajanim, mitgebracht, der vorn rechts saß. Er verwandelte die Mittelkonsole in einen Operationstisch, indem er sie mit einem sterilen Tuch bedeckte und die Innenbeleuchtung des Wagens einschaltete. Der Arzt schnitt den Notverband an der linken Hand auf und untersuchte die Wunde, dann verzog er mißbilligend die Lippen - Nicht weiter schlimm. Wegen dieser Kleinigkeit schleppt man mich in diese Einöde? »Etwas gegen die Schmerzen?« fragte er, aber Gabriel
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