Der Engländer
direkt auf den Mann mit der Pistole zu. »He, Sie da!« sagte er in fließendem Deutsch. »Haben Sie gesehen, wohin der Kerl verschwunden ist?« Der andere starrte ihn sprachlos verwirrt an. Gabriel kam unaufhaltsam näher. »Was ist mit Ihnen los, Mann? Sind Sie taub? Antworten Sie gefälligst!«
Als der Mann das Funkgerät an die Lippen hob, riß Gabriel seinen Arm hoch und begann zu schießen. Er gab fünf Schüsse ab, den letzten aus einem Meter Entfernung in die Brust des Mannes.
Gabriel blickte zum Haus auf. Er sah Lichtstrahlen von Stablampen über die zugezogenen Vorhänge gleiten. Im nächsten Augenblick wurden die Vorhänge aufgerissen, und ein Gesicht erschien. Dann ein Schrei. Eine Faust, die ans Glas hämmerte.
Er warf sich herum und spurtete durch den Park davon, bis er die Mauer zum Nachbargrundstück erreichte - gut zwei Meter hoch und mit in die Mauerkrone eingelassenen schmiedeeisernen Spitzen. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm die beiden Männer aus dem Haus. Einer kniete neben dem Toten, der andere suchte den Garten mit dem Lichtstrahl einer starken Stablampe ab.
Gabriel sprang hoch und umklammerte die in die Mauerkrone eingelassenen Spitzen. Dann erfaßte ihn blendend helles Licht, und eine Stimme rief etwas auf deutsch. Er zog sich hoch, während seine Füße vergeblich versuchten, an der glatten Mauer Halt zu finden. Ein Schuß traf den Verputz unter ihm, dann noch einer. Gabriel konnte spüren, wie mehrere Nähte an seinen Händen rissen.
Er schwang die Beine über die Mauerkrone und wollte sich auf der anderen Seite hinunterfallen lassen, aber seine Lederjacke hatte sich an einer der Spitzen verhakt. So baumelte er hilflos in der Luft: mit deutlich sichtbarem Kopf und von dem hellen Lichtstrahl geblendet. Gewaltsam verdrehte er seinen Körper, bis die Eisenspitze ihn freigab, so daß er in den Nachbargarten plumpste.
Der Umschlag rutschte unter seiner Jacke hervor und fiel in den Schnee. Gabriel hob ihn auf, stopfte ihn wieder vorn in seine Hose und rannte los.
Aufflammendes Halogenlicht machte die Nacht zum Tag.
Irgendwo heulte die Sirene einer Alarmanla ge los. Gabriel rannte seitlich an der Villa vorbei, bis er eine weitere Mauer erreichte, die das Nachbargrundstück zur Straße hin abgrenzte.
Er überkletterte sie rasch und sprang auf der anderen Seite hinunter.
Dort befand er sich auf einer schmalen Straße. Überall in den benachbarten Villen wurde Licht gemacht – die Schweizer und ihre legendäre Wachsamkeit. Als er die Straße entlanghetzte, erinnerte eine Stimme in seinem Kopf ihn immer wieder an Ari Schamrons elftes Gebot: Du sollst dich nicht erwischen lassen!
Er erreichte die Krähbühlstraße, die breite Durchfahrtsstraße, auf der sein Wagen geparkt war. Er spurtete die in einer leichten Biegung verlaufende Straße hinunter, bis er den Mercedes sah.
Dann versuchte er plötzlich abzubremsen, rutschte im Schnee aus und knallte auf den Asphalt. An seinem Wagen standen zwei Männer, die mit Stablampen ins Innere leuchteten.
Als er sich aufrappelte, richteten die Männer ihre Stablampen auf ihn. Gabriel machte kehrt und lief bergauf davon. Du sollst alles tun, um einer Verhaftung zu entgehen!
Er zog die Glock, die er dem Mann im Arbeitszimmer abgenommen hatte, und rannte weiter. Allmählich wurde er müde. Die kalte Luft brannte in seiner Lunge, und in seinem Mund hatte er den Geschmack von Rost und Blut. Zwanzig Meter weiter sah er ein Scheinwerferpaar bergab auf sich zukommen. Es gehörte zu einem großen Audi, dessen Räder auf dem Neuschnee durchdrehten.
Ein rascher Blick über die Schulter zeigte ihm, daß die beiden Männer ihn zu Fuß bergauf verfolgten. Keine Seitenstraßen, keine Durchgänge - er saß in der Falle. Du sollst notfalls das Blut Unschuldiger vergießen!
Der Audi kam direkt auf ihn zugerast. Gabriel blieb stehen, hielt die Glock mit ausgestreckten Armen schußbereit. Als der Wagen schleudernd wendete und keine zwei Meter von ihm entfernt zum Stehen kam, zielte er auf die Gestalt hinter dem Lenkrad. Bevor er abdrücken konnte, wurde die Beifahrertür aufgestoßen.
»Steig ein, Gabriel!« rief Anna Rolfe. »Beeil dich!«
Sie fuhr mit derselben Konzentration, mit der sie Violine spielte - eine Hand am Lenkrad, die andere am Schaltknüppel.
Den Zürichberg hinunter, über die Limmat, auf die um diese Zeit ruhigen Straßen im Stadtzentrum. Gabriel drehte sich um und sah einige Minuten lang nach hinten.
»Du brauchst nicht mehr zu
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