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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Funk
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den interaktiven, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Der aktiv entgrenzende Mensch inszeniert selbst Leidenschaftlichkeit, Emotionalität und Sentimentalität und macht sich selbst bzw. das, was er mitteilt, verkauft, zur Schau stellt, mit Hilfe der heutigen Darstellungstechniken und Medien zum »Gefühlserlebnis pur«. Es geht nicht darum, was der Inszenierer selbst wirklich fühlt und
spürt, sondern dass er Gefühle produzieren kann, mit denen er sich attraktiv macht, sich als charismatischer Politiker oder Prediger, als Glaubwürdigkeit verbreitender Akteur in den Medien oder als von Leidenschaften getriebener Künstler inszenieren kann. Seine ganz persönliche Gefühlssituation und Gefühlsfähigkeit spielt dabei keine Rolle und ist auch nicht gefragt. Wenn er sich so zum Gefühlserlebnis machen kann, dass andere lachen, vor Begeisterung oder Angst schreien, sich mitreißen lassen, sich freuen oder traurig sind und schließlich vergnügt, betroffen oder erleichtert von dannen ziehen, hat er sein Ziel erreicht. Denn danach verlangt der interaktiv entgrenzte Mensch: Er will Zugang zu solcherart inszenierten Gefühlswelten haben, um die erzeugten Gefühlen mitspüren zu können. Diese Lösung des Gefühlsproblems bei Menschen, die keine eigenen Begrenztheiten dulden, wird durch eine Wirtschaft gefördert, die sich der Produktion von Gefühlen und Gefühlswelten verschrieben hat und so zu einer ungeheuren Sentimentalisierung der Gefühlsfähigkeit des Menschen beiträgt. Menschen, die inszenierte Gefühle anbieten bzw. inszenierte Gefühle mitfühlen wollen, statt die eigenen Gefühle zu spüren, leben immer etwas Sentimentales.
    Es sind vor allem zwei Gründe, warum die Entgrenzung von Gefühlen durch ihre Inszenierung attraktiver ist als die Aktivierung der im Menschen gewachsenen Gefühlswelt. Der erste Grund wurde bereits ausgeführt: Im Vergleich zu dem, was ein Mensch aus seinem eigenen, immer begrenzten und durch gegenläufige Gefühlsregungen eingeschränkten Gefühlspotenzial hervorzubringen imstande ist, lassen sich heute mit Unterstützung von suggestiven Darstellungstechniken und einer alle Sinne ansprechenden Medientechnik Gefühlswelten produzieren, die so überwältigend sind, dass man sich ihnen nicht mehr entziehen kann und deshalb mitjubeln und mitweinen muss . Hierfür gibt es heute einen auf die Inszenierung von Gefühlen und seelischen Befindlichkeiten spezialisierten Markt: Man holt sich ganz selbstbestimmt jene Gefühlswelten und affektiven Zustände ins Wohnzimmer und ins Selbsterleben herein, die einen stark, wertvoll,
wirkmächtig, mutig, verbunden, voller Energie und Leidenschaft machen, die beflügeln statt belasten, die inspirierend statt deprimierend sind.
    Die mit der Bevorzugung inszenierter Gefühle einhergehende Umorientierung von dem, was an Gefühlen und Leidenschaften in einem selbst lebendig ist - sprich, was ich fühle und was mich von Innen heraus bewegt, was mich freut, wütend macht, aus der Haut fahren lässt, worin ich liebend, aktivierend und belebend bin - zu dem, was mich be-lebt, animiert, be-geistert, in-spiriert, mitreißt, unter-hält, hat weitreichende Folgen. Es kann nämlich sehr wohl sein, dass sich ohne Animation, ohne Musik, ohne das laufende Radio oder den Stöpsel des mp3-Players im Ohr, ohne das Spielen am Handy, ohne Zugang zum Internet und zur TV- und Video-Unterhaltungswelt eine lähmende Langeweile ausbreitet und man sich leblos fühlt.
    Der zweite Grund, warum die Inszenierung von Gefühlen attraktiver ist als das Erleben eigener Gefühle, ist die selbstbestimmte Auswahl und Steuerung des Gefühlserlebens. Diese selbstbestimmte Selektionsmöglichkeit inszenierten Gefühlserlebens führt zu einer verwirrenden Vielfalt: Der eine fährt auf diese, die andere auf jene inszenierten Gefühlswelten, Affekte und Leidenschaften ab. Ein bestimmtes Selektionskriterium ist dabei auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Jeder produziert die Emotionalität oder erlebt die Gefühle mit, die zu ihm oder ihr in dieser bestimmten Situation passen. Entscheidend ist nur, dass sie zur Bedürfnislage und Situation des oder der Betreffenden passen müssen. Ob jemand romantische Schmusegefühle oder Horrorgefühle selbst inszeniert oder miterleben will, ob es um Zärtlichkeitsgefühle oder Triumphgefühle, Hassgefühle oder Bewunderungsgefühle, Machtgefühle oder Mitleidsgefühle, Rache- oder Solidaritätsgefühle geht, hängt nur vom jeweiligen Bedürfnis des entgrenzten

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