Der entgrenzte Mensch
des Arbeitsplatzes oder betriebliche Fitness- und Freizeitangebote) über Leistungs- und Persönlichkeitskontrollen in Audits und Personalgesprächen bis zur Delegierung der betrieblichen Verantwortung auf den »Arbeitskraftunternehmer«. Wer morgen noch seinen Job tun möchte oder für ein neues Projekt angefragt werden will, kommt nicht umhin, sich an den betrieblichen Entgrenzungszielen zu orientieren, die Angebote zur Simulation der Persönlichkeit zu akzeptieren und entsprechende Trainings zu ihrer Habitualisierung zu absolvieren. Begünstigt wird dieser Prozess der Virtualisierung der Persönlichkeit durch die Tatsache, dass man nicht allein damit ist: Die meisten Erwerbstätigen sind vor die Aufgabe gestellt, eine virtuelle Persönlichkeit ihr Eigen zu nennen, eben weil der berufliche Erfolg weitgehend davon abhängt, wie gut es einem gelingt, die virtuelle Persönlichkeit als seine tatsächliche zu empfinden und auszuleben.
Neben dem erhöhten betrieblichen Druck zu einer entgrenzten Persönlichkeitskonstruktion ist die gesellschaftliche Anerkennung und Plausibilität eine andere wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen sich eine simulierte Persönlichkeit zueigen machen. Je mehr Menschen mit ähnlich konstruierten virtuellen Persönlichkeiten in einen Austausch miteinander treten, desto mehr öffentliche Anerkennung und Plausibilität erhält die Virtualisierung der Persönlichkeit. Auf diese Weise wird die durch Simulation
hergestellte virtuelle Persönlichkeit zunehmend als real und normal angesehen und von den Betreffenden auch so erlebt.
Anders als die Inszenierung, die verdrängte, verborgene, erwünschte, aber nicht ausgelebte Aspekte der eigenen Persönlichkeit zugänglich macht, zielt die Virtualisierung der Persönlichkeit immer auf eine Persönlichkeitskonstruktion, die es nach »herkömmlichen« Vorstellungen »eigentlich« nicht geben kann. Mit Hilfe der Simulation wird die virtuelle Persönlichkeit als real erlebt, gehen von ihr doch Wirkungen und Funktionen aus, wie wenn es sie real gäbe. Nach »herkömmlichen Vorstellungen« und nach allen psychologischen Erfahrungen gibt es die heute zur Norm erhobene virtuelle Persönlichkeit in der Realität nicht: Den Menschen, der immer nur positiv denkt, fühlt und handelt, der durchgängig leistungsfähig ist, keine feindseligen Gefühle und keine lähmende Angst kennt, immer kooperationsbereit und zuverlässig ist, sich ganz und gar verantwortlich fühlt, ohne eine Verbindlichkeit einzugehen - diesen Menschen gibt es nur virtuell, als Ergebnis einer Simulation und als virtuelle Realität; psychologisch ist er nur auf Grund massiver Verleugnungen seiner psycho-physische Realität möglich. Gleichwohl wird diese virtuelle Persönlichkeit gesellschaftlich gefordert und mit Psycho-und Soziotechniken gefördert und hergestellt.
Je mehr die virtuelle Persönlichkeit zur gesellschaftlichen Norm erhoben und damit etwas Normales wird, desto leichter wird es dem Einzelnen gemacht, sich als virtuelle Persönlichkeit neu zu erfinden und sich mit ihr in der Gesellschaft zuhause zu fühlen. Wie sich die virtuelle Persönlichkeit zur Normalität entwickelt, könnte an Biografien und Psychogrammen, aber auch anhand von Zielsetzungen und Inhalten von Kommunikations-und Persönlichkeitstrainings anschaulich gemacht werden. Im Folgenden soll an der »Philosophie« und Kommunikationsstrategie einer Bank (sie soll hier B-Bank heißen) verdeutlicht werden, wie sich diese Bank schon vor Jahren ein virtuelles Persönlichkeitsprofil schaffte mit dem Ziel, den Kunden an diese virtuelle Realität zu binden. Das virtuelle Persönlichkeitsprofil wurde mir
in einem persönlichen Brief und in einer Broschüre schmackhaft gemacht. Der (hier anonymisierte) Brief lautete:
Sehr geehrter Herr Dr. Funk,
Ihre Bankgeschäfte sind Privatsache. Und eine Kundenbeziehung mit der B-Bank ist mehr als eine Bankverbindung. Deshalb heißt unser neues Konzept für Sie: B-Privat und B-Service. Bei B-Privat erwartet Sie eine ganzheitliche Betreuung auf hohem Niveau. Dabei stehen Sie im Mittelpunkt. Ihre individuelle Lebens- und Vermögenssituation und Ihre Ziele für die Zukunft. Gemeinsam mit Ihnen entwickelt Ihr Vermögens-Manager C. Lösungen, die Ihrem Vermögen erstklassige Perspektiven eröffnen. Und weil es sich dabei um sehr persönliche Dinge handelt, werden wir Sie auch so empfangen - privat, diskret und vertraulich. Dafür planen wir separate Räume mit gehobenem Ambiente.
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