Der entzauberte Regenbogen
schmilzt.
Myriaden Farben haben sie hervorgebracht
Myriaden sind noch ungezeugt – ein ewger Quell
von Schönheit, immer blühend, immer neu.
Ersann so Schönes jemals ein Poet
Träumend im leise wispernden Hain?
Gar ein Prophet, zu dem der Himmel selber niedersteigt?
Schon diese tiefe Sonn und dieser Wolken Ziehn,
Geschaut von deinen Höhen, Greenwich, künden
Von des Naturgesetzes hehrer Pracht.
«To the Memory of Sir Isaac Newton» (1727)
4 Strichcodes in der Luft
Das Kubiern des Regenbogens
Wird der Verstand vollziehn
Doch der Bogenschlag der Liebe
Entzieht sich seinem Mühn.
Emily Dickinson (1894)
«On the air» («in der Luft») heißt im heutigen Englisch: im Radio. Aber Radiowellen haben mit Luft nichts zu tun – man sollte in ihnen eher unsichtbare Lichtstrahlen mit großer Wellenlänge sehen. Mit «Luftwellen» kann man sinnvollerweise nur eines meinen: den Schall. Dieses Kapitel handelt vom Schall und anderen langsamen Wellen, und es befasst sich damit, wie man auch sie, ähnlich einem Regenbogen, entwirren kann. Schallwellen bewegen sich eine halbe Million Mal langsamer als Licht (oder Radiowellen) fort – nicht viel schneller als eine Boeing 747 und langsamer als eine Concorde. Im Gegensatz zu Licht und anderen elektromagnetischen Wellen, die sich im Vakuum am besten fortpflanzen, können Schallwellen nur durch ein materielles Medium wie Luft oder Wasser wandern. Sie sind Wellen der Kompression und Dekompression (Verdichtung und Verdünnung) des Mediums. In Luft ist das gleichbedeutend mit Wellen erst zu- und dann wieder abnehmenden Luftdruckes. Unsere Ohren sind winzige Barometer, die schnelle, rhythmische Druckschwankungen wahrnehmen können. Insektenohren funktionieren ganz anders. Um den Unterschied zu verstehen, müssen wir ein wenig abschweifen und uns mit der Frage befassen, was Druck eigentlich ist.
Wenn wir beispielsweise unsere Hand auf die Auslassöffnung einer Fahrradluftpumpe halten, spüren wir den Druck als eine Art elastisches Schieben. In Wirklichkeit besteht er aus dem geballten Bombardement vieler tausend Luftmoleküle, die nach dem Zufallsprinzip in unterschiedlichen Richtungen durcheinander sausen (im Gegensatz zum Wind, in dem die Moleküle vorwiegend in einer bestimmten Richtung fließen). Hält man die Hand bei starkem Wind in die Höhe, spürt man den zugehörigen Druck – ein Molekülbombardement. Die Moleküle in einem abgeschlossenen Raum, beispielsweise in einem gut aufgepumpten Fahrradreifen, drücken nach außen gegen die Wände des Reifens, und zwar mit einer Kraft, die der Zahl der Moleküle in dem Reifen und der Temperatur proportional ist. Bei jeder Temperatur, die über −273 ˚C liegt (der niedrigsten überhaupt möglichen Temperatur, bei der sich die Teilchen nicht mehr bewegen), befinden sich die Moleküle in ständiger, zufälliger Bewegung, und dabei stoßen sie zusammen wie Billardkugeln. Sie prallen aber nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen die Wände des Reifens, und das «spüren» die Wände als Druck. Zusätzlich sausen die Moleküle umso schneller durcheinander, je heißer die Luft ist (das ist gleichbedeutend mit Temperatur), und deshalb nimmt der Druck bei gleich bleibendem Volumen zu, wenn man die Luft erwärmt. Umgekehrt steigt auch die Temperatur einer vorgegebenen Luftmenge, wenn man sie komprimiert, das heißt, wenn man den Druck durch Verminderung des Volumens steigen lässt.
Schallwellen sind wellenförmig schwankende Druckveränderungen. Der gesamte Luftdruck – beispielsweise in einem luftdicht verschlossenen Raum – wird durch die Zahl der Moleküle in dem Raum und die Temperatur bestimmt, zwei Werte, die sich kurzfristig nicht ändern. Jeder Kubikzentimeter in dem Raum enthält im Durchschnitt die gleiche Zahl von Molekülen, und deshalb herrscht überall der gleiche Druck. Aber das schließt nicht aus, dass es lokale Druckveränderungen gibt. Im Kubikzentimeter A kann der Druck auf Kosten des Kubikzentimeters B, der vorübergehend einige Moleküle abgibt, ansteigen. Die Druckzunahme in A treibt dann Moleküle zurück nach B, sodass sich das Gleichgewicht wieder einstellt. In größerem, geographischem Maßstab entsteht auf diese Weise der Wind – Luft fließt aus Gebieten mit höherem zu solchen mit niedrigerem Luftdruck. Im Kleinen kann man Schallwellen genauso betrachten, aber sie sind kein Wind, denn sie schwingen sehr schnell vor und zurück.
Schlägt man in der Mitte eines Raums eine Stimmgabel an, versetzt sie die
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