Der entzauberte Regenbogen
so ist auch diese wahrscheinlich nicht wahr.) Die Ähnlichkeiten zwischen Bruder und Schwester, Vater und Sohn, Großeltern und Enkeln erinnern uns daran, welch gewaltige Vielfalt von Gesichtern es in der Bevölkerung unter nicht miteinander verwandten Menschen gibt.
Aber Gesichter sind nur ein Sonderfall. Individuelle Besonderheiten begegnen uns überall, und mit ein wenig Übung kann man sie nutzen, um Menschen zu identifizieren. Einer meiner Schulfreunde behauptete (und meine Stichproben bestätigten es), er könne jeden der 80 Bewohner unseres Wohnheims allein am Klang seiner Schritte erkennen. Eine andere Bekannte aus der Schweiz konnte ihren eigenen Angaben zufolge beim Betreten eines Zimmers sofort am Geruch erkennen, welche Person aus ihrem Bekanntenkreis den Raum vor kurzem verlassen hatte. Das lag nicht daran, dass ihre Kollegen sich nicht gewaschen hätten, sondern sie hatte nur eine ungewöhnlich empfindliche Nase. Dass so etwas im Prinzip möglich ist, wird auch dadurch bestätigt, dass Polizeihunde zwei beliebige Menschen allein am Geruch unterscheiden können, es sei denn, es handelt sich – wieder einmal – um eineiige Zwillinge. Soweit mir bekannt ist, hat die Polizei die Methode noch nicht angewandt, aber ich wette, man könnte Hunde darauf trainieren, die Spur eines entführten Kindes aufzunehmen, indem man sie an seinen Geschwistern schnuppern lässt. Vielleicht könnte man sogar eine Möglichkeit finden, um Vaterschaftsstreitigkeiten durch eine Jury aus Bluthunden entscheiden zu lassen.
Ebenso einzigartig wie Gesichter sind auch Stimmen. Mehrere Forschungsteams arbeiten zurzeit an Computersystemen zur Stimmenerkennung, mit denen sich die Identität feststellen lässt. Es wäre schon äußerst nützlich, wenn wir in Zukunft keine Hausschlüssel mehr brauchten, sondern uns stattdessen eines stimmgesteuerten Computers bedienten, der unserem persönlichen Sesam-öffne-dich-Befehl gehorcht. Auch Handschrift ist so individuell, dass die Unterschrift als Identitätsbeweis auf Schecks und rechtsverbindlichen Dokumenten ausreicht. Eigentlich sind Unterschriften nicht besonders sicher, denn man kann sie leicht fälschen, aber es ist schon beeindruckend, wie gut man eine persönliche Handschrift unter Umständen wieder erkennt. Ein viel versprechender Neuzugang in der Liste individueller Kennzeichen ist die Iris im Auge. Mindestens eine Bank experimentiert mit automatischen Iris-Abtastern zur Feststellung der Identität. Der Kunde steht vor einer Kamera, die das Auge fotografiert und das Bild in die digitale Form eines «menschlichen Strichcodes von 256 Byte» bringt – so die Formulierung in einer Zeitung. Aber keine dieser Methoden zur Identitätsfeststellung reicht auch nur annähernd an die Möglichkeiten richtig angewandter DNA-Fingerabdrücke heran.
Dass Polizeihunde den Unterschied zwischen zwei beliebigen Menschen (mit Ausnahme eineiiger Zwillinge) riechen können, ist nicht verwunderlich. Unser Schweiß enthält eine komplizierte Mischung aus Proteinen, und die Eigenschaften dieser Proteine sind in der DNA, die unsere Gene bildet, in allen Einzelheiten minuziös festgeschrieben. Anders als Handschrift und Gesichter, die eine große Bandbreite besitzen und nahtlos ineinander übergehen, enthalten Gene einen digitalen Code, wie er ganz ähnlich auch in Computern verwendet wird. Wiederum mit der Ausnahme eineiiger Zwillinge unterscheiden wir uns genetisch von allen anderen Menschen in genau abgegrenzten Stufen, deren Anzahl man sogar zählen könnte, wenn man genug Geduld hätte. Die DNA in einer beliebigen meiner Zellen gleicht genau der DNA in allen meinen anderen Zellen (abgesehen von einem winzigen Bruchteil von Fehlern und mit Ausnahme der roten Blutzellen, die ihre gesamte DNA verloren haben, sowie der Geschlechtszellen, die nur eine zufällig ausgewählte Hälfte meiner Gene enthalten). Sie unterscheidet sich von der DNA in jeder Zelle jedes anderen Menschen, und zwar nicht auf eine unbestimmte, vage Weise, sondern in einer genau feststellbaren Zahl von Stellen in der Reihe der Milliarden DNA-Buchstaben, die jeder von uns besitzt.
Was die digitale Revolution der Molekulargenetik bedeutete, kann man kaum zu übertrieben darstellen. Bevor Watson und Crick 1953 ihre Epoche machende Aufklärung der DNA-Struktur verkündeten, konnte man noch Charles Singers Schlussworten in dem maßgeblichen Buch A Short History of Biology zustimmen, das 1931 erschienen war:
… trotz verschiedener
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