Der entzauberte Regenbogen
vervielfältigen sich ebenso wirksam wie das Material vom Tatort des Verbrechens, und welche Möglichkeiten für Ungerechtigkeiten daraus erwachsen, liegt auf der Hand.
Aber menschliches Versagen ist kein besonderes Merkmal der DNA-Analyse. Durch Stümperei und Sabotage können alle Indizien zunichte gemacht werden, und alle müssen mit äußerster Sorgfalt behandelt werden. Auch die Karten in einer herkömmlichen Fingerabdruckkartei können falsch beschriftet sein. Die Mordwaffe wurde vielleicht nicht nur vom Täter, sondern auch von Unschuldigen angefasst, sodass man ihnen ebenso Fingerabdrücke abnehmen muss wie dem Verdächtigen, um Fehler auszuschließen. Gerichte waren schon immer an die Notwendigkeit gewöhnt, alle nur denkbaren Vorsichtsmaßnahmen gegen Fehler zu ergreifen, und doch kommen tragische Irrtümer gelegentlich vor. Beweise, die sich auf DNA stützen, sind gegen die Ungeschicklichkeit der Menschen nicht gefeit, aber sie sind dafür auch nicht besonders anfällig, außer im Hinblick auf Fehler bei der PCR-Vermehrung. Würde man alle auf DNA gestützten Indizien wegen der gelegentlich vorkommenden Fehler ausschließen, dürfte man nach dem gleichen Prinzip auch die meisten anderen Indizien nicht zulassen. Wir müssen davon ausgehen, dass man Verhaltensrichtlinien und strenge Vorsichtsmaßregeln entwickeln kann, um sich bei der Darstellung aller möglichen juristischen Indizien gegen menschliches Versagen zu schützen.
Ausführlicher muss ich die komplizierteren Schwierigkeiten erläutern, mit denen die auf DNA gestützten Indizien belastet sind. Auch hier gibt es Entsprechungen bei den herkömmlichen Beweisen, aber diese Tatsache wird vor Gericht offenbar häufig nicht verstanden.
Bei allen Arten der Identifizierung können zwei Arten von Fehlern vorkommen, die den beiden Fehlertypen in allen statistischen Aussagen entsprechen. In einem späteren Kapitel werden wir sie als Fehler des Typs 1 und 2 bezeichnen, aber leichter kann man sie sich unter den Bezeichnungen «falsch-positiv» und «falsch-negativ» merken. Ein Verdächtiger, der schuldig ist, kann unter Umständen davonkommen, weil er nicht erkannt wird – falsch-negativ. Und – falsch-positiv (der Fehler, den die meisten Menschen wohl für gefährlicher halten würden) – ein Unschuldiger wird unter Umständen verurteilt, weil er Pech hat und zufällig dem wirklich Schuldigen ähnelt. Im Fall der gewöhnlichen Identifizierung durch Augenzeugen wird möglicherweise ein Unbeteiligter festgenommen, weil er ein wenig wie der wirkliche Verbrecher aussieht – falsch-positiv. Damit so etwas weniger wahrscheinlich wird, stellt man eine Reihe von Personen zur Identifizierung auf. Die Wahrscheinlichkeit eines Justizirrtums ist umgekehrt proportional zu der Zahl der Personen, die in der Reihe stehen. Mit der Frage, wodurch die Gefahr zunehmen kann, haben wir uns bereits beschäftigt – zum Beispiel, wenn mit dem bärtigen Verdächtigen unfairerweise glatt rasierte Männer in der Reihe stehen.
Die Gefahr, dass jemand aufgrund einer falsch-positiven DNA-Analyse verurteilt wird, ist theoretisch äußerst gering. Wir haben eine Blutprobe des Verdächtigen und Material vom Tatort. Könnte man sämtliche Gene in diesen beiden Proben niederschreiben, wäre die Wahrscheinlichkeit eines Fehlurteils eins zu mehreren Milliarden Milliarden. Von eineiigen Zwillingen abgesehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen in ihrer gesamten DNA übereinstimmen, praktisch gleich null. Aber leider ist es in der Praxis nicht möglich, die gesamte Gensequenz eines Menschen zu ermitteln. Selbst wenn das Human Genome Project beendet ist, bleibt es eine völlig unrealistische Vorstellung, die entsprechenden Arbeiten bei der Lösung jedes Verbrechens zu wiederholen. In der Praxis konzentrieren sich die Kriminaltechniker auf kleine Abschnitte des Genoms, und zwar vorzugsweise auf solche, die in der Bevölkerung bekanntermaßen unterschiedlich sind. Hier setzen die Befürchtungen ein: Würde man das ganze Genom untersuchen, könnte man eine falsche Identifizierung mit Sicherheit ausschließen; so besteht aber möglicherweise die Gefahr, dass sich zwei Personen im Hinblick auf den kleinen Teil der DNA, dessen Analyse unsere Zeit erlaubt, genau gleichen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, sollte sich eigentlich für jeden einzelnen Teil des Genoms ermitteln lassen, und dann könnte man entscheiden, ob es ein hinnehmbares Risiko ist. Je größer der fragliche
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