Der entzauberte Regenbogen
Wetterbedingungen sind für die charakteristische Breite der Ringe verantwortlich). Wie die Fraunhofer-Linien, die aus dem Weltraum zu uns kommen, übermitteln uns Jahresringe Nachrichten aus fernen Zeiten, und wieder bedarf es dafür nur eines minimalen Aufwands. Dass solches Entwirren so schön ist, liegt an seiner Aussagekraft – an der Tatsache, dass wir aus scheinbar so geringen Informationen durch genaue Analyse so vieles erfahren können. Das Gleiche gilt – vielleicht in noch stärkerem Maß – für die Schallwellen von Sprache und Musik, die Strichcodes in der Luft.
Seit einiger Zeit hören wir viel über eine weitere Art von Strichcodes: die DNA-«Fingerabdrücke», Strichcodes im Blut. Mit dem DNA-Strichcode enthüllen und rekonstruieren wir Einzelheiten aus dem Leben der Menschen, die selbst für die legendären großen Detektiven früherer Zeiten unerreichbar waren. Seine wichtigste praktische Anwendung findet der Strichcode im Blut bisher vor den Gerichten; mit ihnen – und mit dem Nutzen, den ihnen eine positive Einstellung zur Wissenschaft bringen kann – befassen wir uns im nächsten Kapitel.
5 Strichcodes vor Gericht
Er aber sprach: Weh auch euch Schriftgelehrten! Denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr selbst rührt sie nicht mit einem Finger an … Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen und habt auch denen gewehrt, die hineinwollten.
Lukas 11, 46 und 51
Oberflächlich betrachtet scheint die Juristerei von Poesie oder dem Staunen über Wissenschaft so weit entfernt zu sein, wie man es sich nur vorstellen kann. Die abstrakten Ideen von Gerechtigkeit und Fairness mögen etwas Poetisches haben, aber ich habe meine Zweifel, ob das Juristen bewegt. In diesem Kapitel geht es jedenfalls nicht darum. Ich werde mich mit einem Beispiel für die Rolle der Wissenschaft in der Rechtskunde befassen: mit einem anderen Aspekt der Naturwissenschaft und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft sowie mit der Frage, wie wissenschaftliche Kenntnisse zu einem wichtigen Teil eines guten Gemeinwesens werden können. Von Geschworenen wird zunehmend verlangt, dass sie Beweise verstehen, die auch die Anwälte selbst nicht in vollem Umfang begreifen. Das bekannteste Beispiel sind die Beweise, die aus dem Entwirren der DNA erwachsen – aus den Strichcodes im Blut, die wir noch kennen lernen werden –, und sie sind auch das wichtigste Thema dieses Kapitels. Aber Wissenschaftler können nicht nur Erkenntnisse über die DNA beisteuern, wichtiger sind Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, die ihnen zugrunde liegen; sie sind der wissenschaftliche Weg zu Schlussfolgerungen, die unter Umständen großes Gewicht besitzen. Solche Fragen gehen über das eng gefasste Thema der DNA-Analyse hinaus.
Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, lehnen Anwälte der Verteidigung in den Vereinigten Staaten einzelne Geschworene manchmal mit der Begründung ab, sie hätten eine naturwissenschaftliche Ausbildung. Was kann das bedeuten?
Ich würde nicht das Recht der Verteidigung in Frage stellen, der Auswahl bestimmter Jurymitglieder zu widersprechen. Ein Geschworener kann Vorurteile gegen die Rasse oder soziale Schicht des Angeklagten hegen. Natürlich ist es nicht wünschenswert, dass ein glühender Schwulenhasser an einem Prozess wegen Gewalt gegen Homosexuelle mitwirkt. Aus solchen Gründen haben die Anwälte der Verteidigung in manchen Ländern das Recht, potentielle Geschworene ins Kreuzverhör zu nehmen und dann von der Liste zu streichen. In den Vereinigten Staaten tun Anwälte ihre Kriterien für die Auswahl von Geschworenen unter Umständen sehr lautstark kund. Ein Kollege erzählte mir einmal, wie er in einem Verfahren zum Geschworenen gewählt werden sollte. Es ging um die Wiedergutmachung nach einer Körperverletzung. Der Anwalt fragte: «Hätte irgendjemand hier Bedenken, meinem Mandanten eine beträchtliche Geldsumme zuzusprechen, die vielleicht in die Millionen geht?»
Ein Anwalt kann einen Geschworenen auch ohne Angaben von Gründen ablehnen. Das mag gerecht sein, aber das einzige Mal, als ich es erlebte, ging der Schuss nach hinten los. Ich gehörte zu einer Gruppe von 24 Personen, aus denen Jurys von jeweils zwölf Personen ausgewählt werden sollten. Ich war bereits mit anderen aus der Gruppe Mitglied von zwei Jurys gewesen und kannte ihre persönlichen Vorlieben und Schwächen. Insbesondere ein Mann war
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