Der entzauberte Regenbogen
ein knallharter Strafverfolger; er nahm fast ohne Rücksicht auf den Einzelfall immer die gleiche unnachgiebige Haltung ein. Der Anwalt der Verteidigung ließ ihn in Windeseile durchgehen. Die Nächste in der Reihe, eine große Frau mittleren Alters, war das genaue Gegenteil: garantiert weichherzig, ein Geschenk für die Verteidigung. Aber ihr Äußeres ließ vielleicht das Gegenteil vermuten, und gegen sie machte der Anwalt der Verteidigung von seinem Vetorecht Gebrauch. Ich werde nie ihren schmerzlich verletzten Gesichtsausdruck vergessen, als der studierte Rechtsvertreter sie – die er kaum kannte und die seine Geheimwaffe hätte werden können – von der Geschworenenbank verbannte.
Aber, um die erstaunliche Tatsache noch einmal zu wiederholen: In den Vereinigten Staaten haben Anwälte bekanntermaßen als Grund für die Ablehnung von Geschworenen angeführt, die betreffende Person habe eine handfeste naturwissenschaftliche Ausbildung, oder sie verfüge über gewisse Kenntnisse in Genetik und Wahrscheinlichkeitstheorie. Wo liegt das Problem? Hegen Genetiker bekanntermaßen tief sitzende Vorurteile gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen? Gehören Mathematiker besonders häufig zu denen, die mit Ansichten wie «immer drauf … Rübe runter … eine andere Sprache verstehen die nicht … für Recht und Gesetz» in Erscheinung treten? Natürlich nicht. So etwas hat nie jemand behauptet.
Die Anwälte erheben ihre Einwände aus viel niederträchtigeren Beweggründen. Vor den Gerichten spielen immer häufiger neuartige Beweise eine Rolle: die Ergebnisse der DNA-Typisierung, und die sind sehr stichhaltig. Ist der Angeklagte unschuldig, kann die DNA-Analyse das unter Umständen zweifelsfrei nachweisen. Hat er die Tat begangen, bestehen ebenfalls gute Aussichten, dass die DNA-Analyse seine Schuld eindeutig erkennen lässt, und das auch in Fällen, wo es mit keiner anderen Methode möglich ist. Aber die Ergebnisse von DNA-Analysen sind auch im besten Fall schwer zu verstehen, und es gibt umstrittene Aspekte, bei denen es noch schwieriger ist. Unter solchen Umständen würde man annehmen, dass ein ehrlicher Anwalt, der dem Recht Geltung verschaffen will, froh über Geschworene ist, die die einschlägigen Argumente begreifen. Wäre es nicht gut, wenn wenigstens ein oder zwei Personen im Beratungszimmer sind, die der Unkenntnis ihrer überforderten Kolleginnen und Kollegen entgegenwirken? Was ist das für ein Anwalt, der eine Jury bevorzugt, die den vorgetragenen Argumenten beider Seiten nicht folgen kann?
Die Antwort: Einem Anwalt geht es nicht darum, dass Gerechtigkeit geschieht, sondern er will das Verfahren gewinnen. Er ist eben Anwalt. Und offensichtlich lehnen die Vertreter beider Seiten tatsächlich oftmals einzelne Geschworene ab, weil sie eine naturwissenschaftliche Ausbildung besitzen.
Schon immer mussten Gerichte die Identität eines Menschen feststellen. Handelte es sich bei der Person, die bei ihrer Flucht vom Tatort beobachtet wurde, um Richard Dawkins? Gehört ihm der Hut, der am Schauplatz des Verbrechens zurückblieb? Sind seine Fingerabdrücke auf der Waffe? Eine bejahende Antwort auf eine dieser Fragen ist noch kein Beweis seiner Schuld, aber sicher ein wichtiges Indiz, das man berücksichtigen wird. Die Mehrzahl der Menschen, darunter auch die meisten Geschworenen und Anwälte, halten Augenzeugenberichte intuitiv für besonders glaubwürdig. In diesem Punkt haben wir mit ziemlicher Sicherheit Unrecht, aber es ist ein verzeihlicher Irrtum. Er dürfte uns sogar in den Jahrtausenden unserer Evolution eingepflanzt worden sein, als die Erzählungen von Augenzeugen tatsächlich das Zuverlässigste waren, was es gab. Wenn ich sehe, wie ein Mann mit rotem Filzhut am Regenrohr hochklettert, wird mich kaum jemand davon überzeugen können, dass er in Wirklichkeit eine blaue Baskenmütze aufhatte. Unsere intuitive Voreingenommenheit sagt uns, dass Augenzeugenberichte alle anderen Kategorien ausstechen. In Wirklichkeit hat sich aber in zahlreichen Untersuchungen gezeigt, dass Augenzeugen, so überzeugt, ehrlich und wohlmeinend sie auch sein mögen, sich sogar in wesentlichen Einzelheiten falsch erinnern, beispielsweise wenn es um die Farbe von Kleidung oder die Zahl der anwesenden Gewalttäter geht.
Wenn die Identifizierung einer einzelnen Person wichtig ist, zum Beispiel weil eine Frau vergewaltigt wurde und nun ihren Angreifer benennen soll, wenden die Gerichte ein sehr einfaches statistisches Verfahren
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