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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie zur Rede stellte, da hat sie alles abgeleugnet. Richtig aufsässig geworden ist sie. So etwas muß ich mir nicht bieten lassen.«
    »Nein«, antwortete ich kleinlaut. »Das müssen Sie nicht, Mary. Aber das Mädchen hatte recht.«
    »Wie?« machte Mary.
    »Sie hat die Tasse nicht zerbrochen«, gestand ich mit gespielter Zerknirschung. »Das war ich, gestern nacht.«
    »Oh«, sagte Mary und sah plötzlich gar nicht mehr verärgert, sondern vielmehr peinlich berührt aus. Ich begriff, daß ich unabsichtlich nicht nur das Mädchen, sondern auch sie in eine sehr unangenehme Lage gebracht hatte.
    »Ja, wenn das so ist«, murmelte sie zögernd, »da habe ich wohl …« Dann drehte sie sich mit einem Ruck um und sah wieder auf Merlin herab. »Aber jetzt zu dir«, fuhr sie fort, abrupt das Thema wechselnd. »Du siehst ja auch wirklich aus, als stündest du kurz vor dem Hungertod. Sie müssen ihn besser pflegen, Master Robert. Schauen Sie sich nur an, wie abgema-gert der arme Kerl ist.«
    Merlin war ganz genau derselben Meinung, wie er mit einem vorwurfsvollen Blick in meine Richtung und einem neuerlichen kläglichen Miauen bestätigte.
    Dann sprang er mit einem Satz auf Marys Schulter und versuchte von dort aus, den Kühlschrank zu entern.
    Mary packte ihn am Genick, setzte ihn unsanft zu Boden und drohte ihm spielerisch mit dem Finger. Merlin mißachtete die Drohung, starrte gierig in den offenstehenden Kühlschrank und begann zu sabbern.
    Ich sah den beiden lächelnd zu, während ich vorsichtig an meinem Kaffee nippte. Merlin versuchte jetzt, an Marys Beinen hinaufzuklettern, was ihr eine Laufmasche und ihm einen derben Klaps hinter die Ohren einbrachte. »Böser Kater!« schimpfte sie. »Dabei habe ich so etwas Gutes für dich.«
    Sie förderte eine gewaltige Schlachtplatte zutage.
    »Putenbraten, hier«, sagte sie. Merlin kreischte schrill, sprang mit allen vier Pfoten gleichzeitig in die Luft, schnappte sich im Sprung eine Scheibe des Fleisches, das sowieso für ihn bestimmt war, und verschwand mit seiner Beute unter dem Tisch. Wie gesagt Merlin war wirklich ein sehr liebes Tier.
    Allerdings auch ziemlich blöd, selbst für einen Kater.
    Ich lachte leise, während Mary dem Kater kopfschüttelnd nachsah und die Schlachtplatte schließlich zurückstellte.
    »Kater müßte man sein«, sagte ich.
    »So?« Mary runzelte die Stirn, auf eine Art, die mich wissen ließ, daß ich gerade etwas ziemlich Falsches gesagt hatte.
    »Wegen des Putenfleisches?« fragte sie.
    Ich nickte.
    »Nun, das war nur der Rest des heutigen Mittagessens«, sagte Mary. »Sie und Ihr Großvater haben ja fast nichts angerührt.«

    »Wir … hatten viel zu bereden«, antwortete ich ausweichend.
    »Nichts Ernstes, Mary. Aber auch nichts, was uns Appetit gemacht hätte.«
    Mary schüttelte erneut den Kopf. »Ich beginne mir Sorgen um ihn zu machen, wissen Sie das?« sagte sie leise. »Was ist nur mit ihm los? Er sah heute gar nicht gut aus, und er war nervös wie seit Jahren nicht mehr. Wieso schließt er sich neuerdings immer in seinem Arbeitszimmer ein? Das hat er doch früher nicht getan.«
    »Das hat nichts zu bedeuten, Mary«, antwortete ich hastig.
    »Er « Ich brach mitten im Satz ab und starrte sie an. »Immer?« sagte ich. »Wie meinen Sie das?«
    »Nun …« Mary sah jetzt ebenfalls verwirrt aus. »Heute morgen, dann wieder heute nachmittag, und jetzt schon wieder «
    Ich sprang auf. »Jetzt? Sind Sie sicher, Mary?«
    Sie nickte verstört. »Aber ja. Er ist hineingegangen, kurz nachdem Sie sich in Ihr Zimmer zurückgezogen haben, und ich habe selbst gehört, wie er den Riegel vorgelegt hat. Ich habe noch gefragt, ob er etwas brauchte, aber «
    Den Rest des Satzes hörte ich schon gar nicht mehr.
    Ich fuhr herum, rannte aus der Küche und stürmte die Treppe hinauf, so schnell ich konnte. Schweratmend erreichte ich das Arbeitszimmer, rüttelte einen Moment lang wider besseres Wissen und natürlich vergeblich an der Tür und begann schließlich mit den Fäusten dagegen zu hämmern.
    »Großvater!« schrie ich. »Mach auf! Großvater!«
    Niemand antwortete. Ich fuhr fort, wie von Sinnen gegen die Tür zu hämmern, aber das einzige Ergebnis war, daß Mary unten in die Halle gelaufen kam und heraufrief, was denn geschehen sei.
    Ich ignorierte sie, trat einen Schritt von der Tür zurück und warf mich mit aller Macht vor. Ein stechender Schmerz schoß durch meine Schulter, aber das Schloß knirschte hörbar. Ich versuchte es noch einmal, prallte

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