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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Arbeitszimmer meines Großvaters.
    Ich sah mich noch einmal verwirrt und mit wachsender Angst im Zimmer um und ging schließlich zur Tür. Draußen auf dem Flur blieb ich stehen. Von Mary war noch immer keine Spur zu sehen, aber darauf verschwendete ich nur einen flüchtigen Gedanken.
    Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, um mich zu schauen.
    Nein, das war nicht mein Haus. Gewiß, auf den ersten Blick schien alles wie gewohnt und doch: Es war wie das Arbeitszimmer hinter mir. Gewisse Details waren anders. Statt der elektrischen Leuchter hingen Gaslampen an den Wänden, auf dem Boden lagen andere Teppiche. Was um Gottes Willen war denn hier geschehen?
    Herumstehen und Staunen jedenfalls würde diese Frage kaum beantworten, das war mir klar. Ich rief noch einmal nach Großvater und wandte mich nach links, zur Treppe, als ich keine Antwort bekam.
    Als ich den halben Weg zum Erdgeschoß hinab hinter mich gebracht hatte, hörte ich Stimmen. Die Stimmen eines Mannes und einer Frau, die miteinander sprachen, nein, stritten. Sie klangen sehr erregt, und dann glaubte ich gar Geräusche wie von einem Kampf zu hören. Einen Moment lang blieb ich stehen und lauschte, dann ging ich weiter, erreichte den Fuß der Treppe und wandte mich zum Salon, aus dem die Stimmen kamen. Aber eine innere Stimme riet mir, lieber vorsichtig zu sein. Wieder sah ich mich um, stellte zu meiner Erleichterung fest, daß ich noch immer allein war, und schlich auf Zehenspitzen weiter. Die Tür zum Salon stand offen, so daß ich vorsichtig um die Ecke lugen konnte, ohne selbst von drinnen sofort gesehen zu werden. Ein bißchen albern kam ich mir dabei doch vor: Schließlich war dies hier mein Haus, und ich benahm mich wie ein Einbrecher.
    Aber ich hatte auch Grund dazu, und schon der erste Blick, den ich in den Salon warf, überzeugte mich endgültig davon.
    In dem Zimmer hatte ein Kampf stattgefunden. Ein paar Möbelstücke waren umgeworfen worden, und auf dem Teppich vor dem Kamin krümmte sich ein Mann unter Schmerzen.
    Über ihm, mit gespreizten Beinen und erhobenen Händen, wie bereit zum Zuschlagen, stand eine sehr schlanke, sehr hübsche junge Frau, die nur ein hauchdünnes Negligé trug. Sie war waffenlos, und im ersten Moment erschien es mir erstaunlich, daß ein so zartes Mädchen einen kräftigen Burschen wie diesen Schwarzhaarigen zu Boden geschlagen haben sollte, aber die Szene ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Und ganz unmöglich war es ja nicht. Schließlich beherrschte auch ich einige vornehmlich asiatische und größtenteils ziemlich gemeine Tricks, die mich nötigenfalls in die Lage versetzten, auch mit einem überlegenen Gegner fertig zu werden.
    Da bewegte sich der Mann auf dem Teppich stöhnend, und als er den Kopf hob und ich sein Gesicht sehen konnte, vergaß ich schlagartig alles andere.
    Der Fremde war nicht sehr viel älter als ich vielleicht dreißig, allerhöchstens , mußte ungefähr meine Statur und meine Größe haben, und in seinem Haar prangte dieselbe schlohweiße Strähne wie in meinem!
    Und als wäre das allein nicht genug: Er hatte mein Gesicht!
    Es war, als hätte mir jemand unversehens einen Eimer eiskaltes Wasser in den Kragen gekippt. Sekundenlang stand ich einfach da und starrte den Fremden an, unfähig zu denken oder mich zu rühren. Der Mann sagte etwas zu dem Mädchen, und es antwortete, aber ich hörte die Worte nicht einmal. Selbst als die junge Frau mit einem schrillen Lachen ausholte und dem Mann mit meinem Gesicht mit aller Kraft in den Leib trat, reagierte ich nicht.
    Eine Hand berührte mich an der Schulter.
    Ich wirbelte blitzartig herum und riß die Fäuste hoch und hielt im letzten Moment inne, als ich erkannte, wer mich berührt hatte.
    »Großvater!« stöhnte ich. »Du?! Wie «
    »Nicht jetzt!« unterbrach er mich. Seine Stimme klang gehetzt, und in seinem Blick war eindeutig Panik. Und plötzlich fiel mir auf, daß er verletzt war. Er blutete aus einer häßlichen Platzwunde an der Schläfe, und sein linker Arm hing in unnatürlichem Winkel herab, als wäre er gebrochen.
    »Um Gottes willen!« rief ich. »Was ist passiert?«
    »Nicht jetzt«, sagte er noch einmal. »Wir müssen weg hier, Robert. Schnell. Ich habe ihn abgeschüttelt, aber er kann jeden Moment wieder auftauchen. Er wird uns beide umbringen!«
    Ich verstand kein Wort von dem, was er sagte, aber begriff, daß er es bitter ernst meinte. Hastig ergriff ich seinen unverletzten Arm, um ihn zu stützen, und lief

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