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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spürte ich seine Nähe: unsichtbar, lauernd und böse, unendlich böse. Er würde mich töten, wenn ich auch nur versuchte, die Uhr zu öffnen.
    Mit einemmal war mir eiskalt. Allein bei dem Gedanken, mich diesem schrecklichen Wesen stellen zu müssen, krümmte sich etwas in mir wie ein getretener Wurm zusammen.
    Aber hatte ich denn überhaupt eine Wahl?
    Plötzlich kam mir die ganze Aberwitzigkeit der Situation zu Bewußtsein. Ich stand hier und dachte über etwas nach, das längst geschehen war! Ich hatte die Tür betreten, die mein Vater für mich aufgestoßen hatte, und ich war bei ihm erschienen vor einhundert Jahren schon. Aber wenn ich es nun nicht tat, im Hier und Jetzt? Würden dann die Siegel verschmelzen, würden die Großen Alten erwachen und die Herrschaft über die Welt antreten? Allein mein Hiersein bewies doch, daß das nicht geschehen ist, oder …
    Es war ein Gedanke, der einen in den Irrsinn stürzen konnte, wenn man ihn nur lange genug verfolgte.
    Ich wandte mich mit einem Ruck um und ging in die Küche hinunter.
    Mary fand mich zwei Stunden später am Tisch sitzend, halb eingeschlafen über einer Tasse Kaffee, die längst kalt geworden war. Sie sagte kein Wort, sah mich aber sehr vorwurfsvoll an und nahm mir die Tasse fort. Erst dann legte sie ihren Mantel ab, schloß sorgfältig die Tür hinter sich und setzte sich zu mir.
    Fast eine Minute lang sah sie mich nur einfach an, klappte dann ihre Handtasche auf und nahm eine zerknitterte Zigaret-tenpackung hervor. Ich hatte gar nicht gewußt, daß sie rauchte.
    Schweigend hielt sie mir die Packung hin, zuckte die Achseln, als ich den Kopf schüttelte, und ließ ein billiges Wegwerffeu-erzeug aufschnappen.
    »Wir sollten miteinander reden, finden Sie nicht, Robert?«
    begann sie.
    Ich nickte bloß. Mary zog die linke Augenbraue hoch, als die erhoffte Antwort ausblieb, und nahm einen weiteren, tiefen Zug aus ihrer Zigarette. Dann hustete sie. Wie gesagt sie schien sehr selten zu rauchen.
    »Wollen Sie sich umbringen, Robert?« fragte sie plötzlich.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Statt einer Antwort klappte Mary abermals ihre Handtasche auf, zog einen kleinen Taschenspiegel heraus und hielt ihn mir vors Gesicht.
    Als ich mein eigenes Spiegelbild sah, wußte ich, was sie meinte. Mein Gesicht war weiß wie die sprichwörtliche Wand.
    Dunkle Ringe lagen unter meinen Augen, und meine Wangen wirkten eingefallen und grau. Das war nicht ich, der mir da aus dem Spiegel entgegenstarrte, das war ein Gespenst.
    »Sie haben heute nacht wieder nicht geschlafen, wie?« fragte sie.
    »Nein«, antwortete ich einsilbig.
    »Haben Sie wieder … Nachforschungen angestellt?« fragte sie betont.
    »Ja, das habe ich, Mary.« Ich stand auf, ging zur Anrichte hinüber und holte mir die Kaffeetasse zurück, die sie mir gerade weggenommen hatte.
    »Es hat mit dem Tod Ihres Großvaters zu tun«, verhütete Mary. Und fügte hinzu: »Dieser schreckliche Polizeibeamte hat recht, nicht wahr? Es war kein Unfall.«
    Ich nickte widerstrebend. »Ja. Er hat recht. Aber anders, als er denkt.«
    Mary schwieg fast eine Minute. »Wollen Sie darüber reden?«
    fragte sie schließlich.
    Warum eigentlich nicht? Ich wurde sowieso schon von jedermann entweder für einen Mörder oder für verrückt gehalten. Trotzdem fiel es mir schwer zu sprechen.
    »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, daß Großvater von einem …« Ich stockte, suchte einen Moment nach den passenden Worten und fuhr seufzend fort: »… von einem Dämon getötet worden ist?«
    »Natürlich«, antwortete Mary, als wäre das das Selbstverständlichste von der Welt.
    Diesmal war ich es, der verdutzt schwieg.
    Mary lächelte verzeihend. »Was denken Sie von mir, Robert?« fragte sie. »Ich bin vielleicht nur eine einfache Frau, aber ich habe Ohren, um zu hören, und Augen, um zu sehen.
    Ich bin seit dreißig Jahren in diesem Haus.«

    »Dann wissen Sie, daß Großvater sich «
    » mit okkulten Dingen beschäftigte?« Sie nickte. »Aber selbstverständlich. Sie können ein Geheimnis nicht dreißig Jahre lang vor jemandem verbergen, der in diesem Haus lebt.
    Ich wußte es, noch bevor Sie geboren wurden, Sir. Und ich wußte, daß es eines Tages so enden würde.« Ihr Blick wurde sehr ernst. »Ich habe ihn gewarnt.«
    »So?«
    »Mehr als einmal«, bestätigte sie. »Oh, ich sage nicht, daß es Geister wirklich gibt, oder Dämonen, verstehen Sie? Aber es gibt Dinge, die nicht gut sind. Dinge, mit denen man sich nicht

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