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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Großen Alten doch noch zu verhindern«, fuhr er fort, als ich nichts erwiderte.
    »Und wie?« Ich wußte die Antwort ganz genau, aber ich wollte sie von ihm hören, und H. P. schien das zumindest zu ahnen. Er holte tief Atem, und seine Stimme klang sonderbar belegt, als er weitersprach.
    »Er bekam Hilfe. Der Mann, den er in seinen letzten Sekunden sah, Robert er ist ihm zu Hilfe gekommen. Du erinnerst dich, was ich heute morgen über die Uhr gesagt habe?«
    Ich nickte.
    »Sie muß«, erklärte H. F.. »eine Art Straße darstellen. Irgendwie hat er es geschafft, das Tor durch die Zeit aufzustoßen. Dein Vater bekam Hilfe, Robert. Aus der Zukunft.«
    Ich sagte noch immer nichts, aber meine Hände zitterten plötzlich so stark, daß ich einen Teil meines Getränkes verschüttete.
    »Der Mann, den er gesehen hat, Robert«, fuhr H. P. mit leiser, fast beschwörender Stimme fort, »der Mann mit seinem Gesicht du weißt, wer er war.«
    Natürlich wußte ich es, auch wenn ich nicht antwortete. Ich hatte ihn genau erkannt, in der allerletzten schrecklichen Sekunde der Vision. Es war wirklich ein Helfer aus der Zukunft gewesen genauer gesagt, aus der Gegenwart. Meiner Gegenwart. Es war Robert Cravens eigener Sohn gewesen. Ich.

    H. P. und die anderen gingen gegen drei, aber ich blieb noch lange wach in dieser Nacht. Schlaf hätte ich ohnehin kaum gefunden; nicht nach dem, was ich gerade erlebt hatte. Als sich H. P. als letzter nach Lady Audley und den beiden anderen verabschiedete, da spürte ich genau, daß er noch viel sagen wollte, aber er war taktvoll genug, es in dieser Nacht nicht mehr zu tun. Vielleicht wollte er auch nur, daß ich von selbst die Kraft fand, die Konsequenzen aus dem Erlebten zu ziehen.
    Draußen vor den Fenstern dämmerte es bereits, als ich endlich aufstand und nach oben ging. Das Haus war sehr still, aber ich hatte keine Angst mehr; irgendwie spürte ich, daß die Ruhe diesmal echt war, sich hinter dem Frieden keine geheimen Schrecken mehr verbargen. Was geschehen war, mußte das Haus wenigstens für kurze Zeit von allen feindseligen Geistern gereinigt haben. Aus diesem Grund fand ich auch den Mut, noch einmal in das Arbeitszimmer hinaufzugehen. Der Raum war dunkel, fast schwarz, und in der Luft hing noch immer dieser schreckliche Brandgeruch, den ich vielleicht nie wieder völlig aus dem Zimmer herausbekommen würde. Vorsichtig tastete ich mich durch die Trümmerwüste zum Fenster, riß die verkohlten Vorhänge vollends herunter und stieß die beiden Flügel auf. Frische Luft und Kälte fluteten in das Zimmer, und als ich mich umdrehte, kroch ein erster, noch zaghafter Sonnenstrahl durch das Fenster herein und fiel direkt auf die Zifferblätter der Standuhr. Er sah aus wie ein dünner, goldener Stab aus Licht. Ein neuer Fingerzeig des Schicksals? Oder fing ich schon an, in jede Kleinigkeit Dinge hineinzugeheimnissen, die einfach nicht da waren?
    Ich versuchte erst gar nicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden, sondern trat langsam an die gewaltige Standuhr heran.
    Sie war noch immer so häßlich und bizarr, wie ich sie in Erinnerung gehabt hatte, aber etwas hatte sich verändert.
    Es war nichts an ihrem Äußeren. Es lag an der Einstellung, mit der ich sie betrachtete. Bisher hatte ich in dieser Uhr stets etwas Böses gesehen, etwas Feindseliges und Tödliches, ein Ding, das zumindest mittelbar für den Tod meines Großvaters verantwortlich war und auch für mich eine Bedrohung darstellte. Aber ich wußte jetzt, daß das nicht stimmte.
    H. P. hatte nicht zu Ende gesprochen, dennoch war mir nun alles klar: Ja, diese Uhr war die Verbindung, das Tor durch die Zeit, von unbegreiflichen magischen Kräften auf gestoßen, aber jemand etwas versuchte mit aller Macht, mich daran zu hindern, es zu betreten.
    Die Großen Alten hatten das Öffnen des Zeittores nicht verhindern können, aber sie hatten dafür gesorgt, daß niemand es benutzen konnte, ohne mit dem Leben dafür zu bezahlen.
    ›Wächter‹ hatte Großvater jenes Wesen genannt, das auch ihn schließlich tötete.
    Ich spürte instinktiv, daß mir keinerlei Gefahr drohte, solange ich der Uhr nicht zu nahe kam. Aber der Wächter war noch da.
    Ich hatte ihn gesehen, gestern abend, ein Paar winziger rotglühender Augen, die mich voll stummem Haß aus den Schatten heraus anstarrten. Und er war es auch gewesen, der den Astralleib meines Vaters in das Nichts zwischen den Wirklichkeiten zurückgerissen hatte, während der Séance.
    Selbst jetzt

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