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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schön, daß ihr wieder einmal vorbeikommt«, sagte ich zögernd.
    H. P. blieb leicht irritiert stehen. Offensichtlich war das nicht ganz die Begrüßung, mit der er gerechnet hatte.
    »Wir haben auf ein Lebenszeichen von dir gewartet«, sagte er nach einer Weile. »Was war los? Ich meine, daß du nach diesem Abend erst einmal eine gewisse Zeit für dich gebraucht hast, war klar, aber …« Er sprach nicht weiter, sondern sah mich nur stumm und vorwurfsvoll an. Ich begann mich mit jeder Sekunde weniger wohl in meiner Haut zu fühlen.
    Schließlich legte ich das Buch aus meiner Hand, stand auf und trat ans Fenster. Nicht, daß es draußen irgend etwas Interessantes zu sehen gegeben hätte. Ich konnte H. P.s Blicke regelrecht im Rücken fühlen.
    »Was hast du?« fragte er noch einmal, nachdem fast eine Minute vergangen war.
    »Nichts«, antwortete ich ausweichend, und ohne zu ihm herumzudrehen. »Oder doch. Ich … habe nachgedacht.«
    »So, hast du das?« H. P. trat ganz dicht an mich heran. Ich wandte mich noch immer nicht ihm zu, aber ich konnte sein Gesicht als verzerrte Spiegelung in der Fensterscheibe vor mir erkennen. »Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
    Warum fiel es mir so schwer zu antworten? Ich hatte doch in den letzten drei oder vier Tagen fast nichts anderes getan, als mir die passenden Worte zurechtzulegen. Oh, ich hatte wunderschöne Antworten gefunden; geschliffene Erwiderungen auf jede mögliche Frage, die er stellen konnte. Jetzt war mein Kopf wie leergefegt.
    »Ich will mit alledem nichts mehr zu tun haben«, stieß ich schließlich mühsam hervor.
    H. P. wirkte nicht einmal überrascht. Er sah eher traurig aus.
    Endlich drehte ich mich herum und sah ihm fest ins Gesicht.
    Aber er hielt meinem Blick gelassen stand, und nach einer Weile war ich es, der betreten wegsah. Ich kam mir vor wie ein Verräter.
    »Warum?« fragte er schließlich.
    »Warum?« Ich lachte bitter. »Kannst du dir das nicht denken, H. P.?« Ich machte eine Handbewegung, die das ganze Haus einschloß. »Nach allem, was hier passiert ist «
    »Du hast Angst«, ergänzte H. P. »Das ist nur zu verständlich.«
    »Nein!« widersprach ich heftig. »Oder doch, ja, ich habe Angst, aber das ist es nicht allein.« Natürlich war es das, das und nichts anderes, aber ich war selbst jetzt noch zu stolz, es zuzugeben.
    »Ich wollte, ich wäre euch nie begegnet«, fuhr ich erregt fort.
    »Alles ist anders geworden, seit ihr in mein Leben getreten seid, und an allem seid nur ihr schuld. Mein Großvater ist tot, und … und …« Ich sprach nicht weiter. Was ich gesagt hatte, war ungerecht, und das wußte ich sehr wohl; trotzdem antwortete H. P. nicht seinerseits mit Vorwürfen, sondern schüttelte nur traurig den Kopf und ließ sich auf die Armlehne eines Sessels sinken. Die lässige Haltung, in der er dasaß und mich betrachtete, paßte überhaupt nicht zu seiner äußeren Erscheinung.
    Bevor er etwas sagte, zündete er sich erst einmal umständlich eine Zigarre an. »Du scheinst nicht begriffen zu haben, was deine Vision bedeutet«, begann er schließlich.
    »Oh doch«, antwortete ich ärgerlich. »Besser als du. Sie bedeutet, daß ich mich raushalten soll. Ich verstehe vielleicht nicht annähernd soviel wie du von Geistern und Dämonen und all dem Kram, aber ich bin nicht so dumm, die Warnung nicht zu erkennen.«
    »Aber du hast gar keine andere Wahl«, widersprach H. P.
    ruhig.
    »Wieso?« fragte ich. »Was soll mich daran hindern, in das nächste Flugzeug zu steigen und nach Sri Lanka zu verschwinden?«
    »Du hast es doch gesehen«, antwortete H. P. Er sprach plötzlich mit sonderbar sanfter Stimme, in einem Tonfall, den man einem störrischen Kind gegenüber anschlagen mochte. »Du warst da, in jener Nacht. Du hast deinem Vater geholfen, ob es dir nun gefällt oder nicht. Du kannst die Gesetze der Zeit nicht ignorieren. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden.«
    Und damit hatte ich ihn. Natürlich hatte ich auch darüber nachgedacht und um ehrlich zu sein, hatte ich die ganze Zeit nur auf dieses Argument gewartet.
    »Du täuscht dich, H. P.«, antwortete ich. »Ich war da, das stimmt. Mein Vater hat mich gesehen. Aber das ist auch alles.«
    H. P. sah plötzlich irgendwie alarmiert aus. »Und? Was willst du damit sagen?«
    »Ich habe es bereits getan«, fuhr ich fort. »Vor einer Woche.
    In der Nacht, in der mein Großvater starb. Ich war da, ich habe meinen Vater gesehen, und Priscilla auch. Und danach bin

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