Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
sehr es H. P. verletzte. Aber ich unterdrückte den Impuls, mich zu entschuldigen. Das hätte alles nur noch schlimmer gemacht.
    »Überlege es dir, Robert«, fuhr H. P. fort. »Du hast noch zwei Tage. Solange stehen nämlich die Sterne noch günstig.«
    »Dann melde dich doch am besten in einer Woche wieder bei mir«, antwortete ich böse. »Oder in zwei. Rowlf und du seid herzlich zum Dinner eingeladen.«
    »Robert, bitte «
    Den Rest seiner Worte hörte ich nicht mehr. Ich hängte ein.
    Aber nur für einen Moment; dann hob ich den Hörer wieder ab, legte ihn sorgfältig neben den Apparat und wählte eine Eins.
    Jetzt konnte H. P. versuchen, mich anzurufen, bis er schwarz wurde.

    Da ich ihn kannte und keineswegs den Fehler beging, seine Hartnäckigkeit zu unterschätzen, ging ich hinaus, beschied Mary, jedem Besucher und zwar ausnahmslos jedem
    mitzuteilen, daß ich nicht im Hause sei, und trollte mich in mein Zimmer.
    Der Raum glich einem Chaos. Die Hälfte der Möbel war bereits auseinandergebaut oder ganz hinausgeschafft worden, denn nachdem der Innenarchitekt das Arbeitszimmer fertigge-stellt hatte, hatte ich ihn gleich beauftragt, alles für meinen Umzug nach unten vorzubereiten nach dem Tod meines Großvaters gab es keinen Grund mehr für mich, weiter in meinem Dachkammerreich zu verweilen. Aber ich hatte immerhin achtzehn Jahre in diesem Zimmer verbracht, und irgendwie fühlte ich mich hier am meisten zu Hause.
    Wütend warf ich mich aufs Bett und starrte die Decke an. H.
    P.s Anruf hatte mir den Tag endgültig verdorben. Dabei war das Schlimme gar nicht einmal die Tatsache, daß er so nach-drücklich auf seinem hirnrissigen Plan beharrte das kam schließlich nicht ganz unerwartet, ja, wahrscheinlich wäre ich sogar fast enttäuscht gewesen, wenn er es nicht versucht hätte.
    Schlimmer war der Gedanke, den seine Worte in mir ausgelöst hatten: daß er recht haben könnte.
    Was, wenn ich wirklich keine Wahl hatte? Die Rückkehr der Uhr war unheimlich genug so unheimlich, daß ich mich bisher einfach geweigert hatte, darüber nachzudenken. Und wenn alles wahr war, wenn mein Vater wirklich ein Mann mit magischen Kräften gewesen war, dann mochte es sein, daß all mein Sträuben und Widerstreben sinnlos war.
    Ich war in meinen Überlegungen kurz vor dem Punkt angelangt, an dem es in meinem Kopf klick machen und ich mich als sabbernden Idioten in einer Gummizelle wiederfinden würde, als ich das Geräusch hörte.
    Im ersten Moment vermochte ich es nicht zu identifizieren, aber es beunruhigte mich, ohne daß ich sagen konnte, warum, und so stand ich auf.
    Das Zimmer war leer. Mary und die Mädchen waren irgendwo unten im Haus beschäftigt, und der Kater stieg seit dem gestrigen Abend irgendeiner Nachbarskatze nach und würde nicht vor Ablauf einer Woche wiederkommen. Verstört sah ich mich um, entdeckte nichts Ungewöhnliches und wandte mich schließlich zur Tür. Sie ging auf, ehe ich die halbe Strecke hinter mich gebracht hatte, ohne daß irgend jemand sie berührt oder es auch nur den geringsten Luftzug gegeben hätte. Und draußen auf dem Flur herrschte absolute Dunkelheit.
    Aber das war völlig unmöglich! dachte ich. Es war Mittag, draußen über der Stadt lag herrlichster Sonnenschein! Und trotzdem war der Flur in vollkommene Finsternis getaucht.
    Zögernd trat ich auf den Gang hinaus und sah mich um. Der Korridor war leer, doch vor den Fenstern lastete die Schwärze einer Nacht, die acht Stunden zu früh gekommen war. Ich wandte mich nach links, zur Treppe, machte einen weiteren Schritt und blieb wie versteinert stehen.
    Da war das Geräusch wieder, genau hinter mir, und diesmal erkannte ich es. Es waren Schritte. Schritte, die mir wohlver-traut waren. Die schweren, schlurfenden Schritte meines Großvaters!
    Ich fuhr herum, setzte zu einem Schrei an und brachte doch keinen Ton heraus. Es war keine Einbildung gewesen. Er stand hinter mir, kaum zwei Yards entfernt, und blickte mich aus seinen dunklen, gutmütigen Augen an. Aber wie hatte er sich verändert! Seine Kleider großer Gott, er trug den schwarzen Anzug, in dem er beerdigt worden war! hingen in Fetzen und moderten, sein Gesicht war nicht bleich, sondern schneeweiß, und seine Lippen so blutleer, daß sie wie blasse aufgemalte Striche wirkten. Seine Augen waren trüb, die Augen eines Toten. Und als er sprach, da hallte seine Stimme geisterhaft durch den Flur, unheimlich, düster, mit einer Art Echo, als wären es eigentlich zwei Stimmen, die da

Weitere Kostenlose Bücher