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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sie das nicht, Mary?« fragte ich, mühsam beherrscht. Ich mußte aufpassen, meine schlechte Laune nicht an ihr auszulassen. H. P. und Rowlf waren vor einer guten halben Stunde gegangen, und seither hatte ich mir die Zeit damit vertrieben, kreuz und quer durch das Haus zu toben und wechselweise das Personal und Merlin zu tyrannisie-ren. Natürlich konnte keiner von ihnen irgend etwas dafür
    aber auch ich bin schließlich nur ein Mensch, dessen Nerven-kraft gewisse Grenzen gesetzt sind.
    Mary schüttelte vorsichtig den Kopf. Ich sah ihr an, daß sie es bereits bereute, sich auf das Thema eingelassen zu haben.
    »Er wird die Uhr doch nicht heimlich zurückgebracht haben«, sagte sie. Damit sprach sie im Grund nur aus, was ich mir auch schon gedacht hatte schließlich hätte es ja wohl jemand im Haus gemerkt, wenn ein LKW mit vier Männern vorgefahren wäre, die eine zwei Meter große Standuhr ausluden, oder?
    Aber ich wußte nicht, wo ich sonst ansetzen sollte.
    »Wahrscheinlich nicht«, räumte ich ein. »Ich will ja auch nur mit ihm reden. Irgend etwas muß er wissen.«
    Mary nickte und tippte den Rest der Nummer ein.
    »Richtig unheimlich ist das, nicht?« flüsterte sie, während sie den Hörer ans Ohr hielt und auf das Tuten des Freizeichens lauschte.
    »Was?« fragte ich überflüssigerweise.
    Mary machte eine Kopfbewegung zur Treppe; und zum Arbeitszimmer. »Das mit der Uhr«, antwortete sie. »Ich meine, daß sie plötzlich wieder da ist. So etwas ist doch fast unmöglich. Man könnte meinen«, fügte sie mit einem leisen, nervösen Lächeln hinzu, »daß es hier spukt.«
    Jetzt war ich es, der sie irritiert ansah. Seit unserem frühmor-gendlichen Gespräch vor sechs Tagen war ich der Meinung gewesen, Mary wisse sehr wohl, daß in diesem Haus nicht alles mit rechten Dingen zuging.
    Aber vielleicht, dachte ich, tat sie einfach dasselbe, was auch ich versuchte nämlich die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Ich sagte nichts darauf, sondern drehte mich mit einem unwirschen Achselzucken herum und stampfte die Treppe hinauf.
    Wütend ging ich ins Arbeitszimmer, knallte die Tür hinter mir zu, daß das halbe Haus wackelte, und funkelte die monströse Standuhr an. Vorhin, als H. P. noch dagewesen war, war ich einfach gelähmt vor Schrecken gewesen, und danach hatte mich für eine ganze Weile die Angst gepackt. Jetzt war ich schlicht und einfach wütend. Zornig wie selten zuvor in meinem Leben. Es war jenes hilflose, schmerzliche Wüten gegen ein übermächtiges Schicksal, das Menschen dazu verleiten mag, Gott zu verfluchen oder irgend etwas unsäglich Dummes oder Mutiges, da besteht kein großer Unterschied
    zu tun.
    Ich jedenfalls tat etwas, das zwar vollkommen sinnlos war, mich aber in diesem Moment ungemein erleichterte: Ich versetzte der Uhr einen gewaltigen Fußtritt.
    »So, du verdammtes Ding!« schrie ich. »Du denkst, du hättest gewonnen, wie? Du glaubst, du könntest hier stehen und mich angrinsen und hättest schon gewonnen, was?« Und ich holte zu einem weiteren Fußtritt aus.
    Und in diesem Moment schwang die Tür der Standuhr lautlos auf.
    Fünf Sekunden lang stand ich einfach da und glotzte. Eine eisige Hand schien meinen Rücken hinunterzustreichen, während ich das Innere der Uhr anstarrte.
    Es war ihr normales Inneres, wohlgemerkt, mit dem großen Pendel und den Gewichten an ihren langen Ketten, nicht dieser fürchterliche grüne Schlund, aber wieso war die Tür einfach aufgegangen? Zufall?
    Vergeblich versuchte ich mir einzureden, daß es mein eigener Fußtritt gewesen war, der sie aufgesprengt hatte, wenn auch mit einiger Verspätung.
    Mein Glaube daran, daß es so etwas wie Zufall überhaupt gab, war gründlich erschüttert. Es hätte mich in diesem Moment kaum gewundert, wenn zwischen den messingblitzen-den Stangen und Ketten ein schwarzgrünes Monster hervorgekrochen wäre, um mich zu verschlingen.
    Aber nichts dergleichen geschah. Die Uhr stand einfach da, das Pendel schwang gleichmäßig hin und her, und das war alles. Nach einer Weile streckte ich vorsichtig die Hand nach der Tür aus, drückte sie wieder ins Schloß und verließ das Arbeitszimmer, so schnell ich nur konnte.
    Mary stand noch immer am Telefon, und ich mußte sie erst gar nicht fragen, um zu erkennen, daß sie ebensowenig Erfolg gehabt hatte wie ich.
    »Lassen Sie es gut sein, Mary«, sagte ich. »Wir versuchen es später noch einmal. Vielleicht besucht er gerade einen Kunden.«

    Mary hängte ein, aber ich hielt sie

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