Der Erbe der Nacht
ich zusammen mit meinem Großvater geflohen.«
H. P. schwieg eine ganze Weile. Die Bewegungen, mit denen er seine Zigarre an den Mund führte und daran sog, wurden ein ganz kleines bißchen nervöser.
»Aber du mußt ihm geholfen haben«, sagte er schließlich.
Irgendwie klang es hilflos, fast verzweifelt. »Wir alle wären nicht hier, wenn die Großen Alten wirklich erwacht wären.«
»Aber sie sind es nicht«, antwortete ich. »Irgendwie hat er es doch noch geschafft, Priscilla zu besiegen und das Siegel zu zerstören und zwar ohne meine Hilfe. Widersprich mir nicht«, fuhr ich auf, als er mich unterbrechen wollte. »Du hast es selbst gesagt wir wären nicht hier, wenn sie erwacht wären. Ich weiß nicht, was geschehen ist, in dieser Nacht, aber ich habe jedenfalls nichts damit zu schaffen. Ich will nicht mehr, H. P.. verstehst du? Das alles ist mir zuviel. Mein Großvater ist tot. In meinem Haus schleichen Ungeheuer herum, ich erlebe Dinge, die seit hundert Jahren Vergangenheit sind, und die Polizei verdächtigt mich, meinen eigenen Großvater umgebracht zu haben.«
»Aber das gehört alles dazu«, widersprach H. P. »begreifst du denn nicht, daß du genau das tust, was sie wollen?«
»Ach?« fragte ich spitz.
»Aber natürlich!« ereiferte sich H. P.. »Selbst Card gehört dazu, ohne es zu wissen. Versteh doch, Robert!
Das Tor wird nicht ewig geöffnet bleiben. Die Sterne stehen noch günstig, aber in ein paar Tagen wird sich die Straße durch die Zeit schließen, und dann ist die letzte Chance unwiderruflich vorbei! Sie tun alles, um dich aus diesem Haus fortzubekommen.«
»Seit ein paar Tagen geht es mir ausgezeichnet«, erklärte ich ärgerlich.
H. P. nickte wütend. »Weil du aufgegeben hast, ja«, fauchte er. »Sie wissen es genau. Ist dir nicht aufgefallen, daß Card dich plötzlich in Ruhe läßt? Daß hier nichts mehr geschieht?
Daß «
»Doch«, unterbrach ich ihn. »Und so wird es auch bleiben.
Ich will von diesem ganzen Wahnsinn nichts mehr hören.«
H. P. seufzte. »Du hast doch gar keine andere Wahl.«
»Habe ich nicht? Dann komm mit.« Ich fuhr ärgerlich herum, lief im Sturmschritt zur Tür und riß sie auf.
»Komm«, sagte ich ungeduldig. »Ich will dir jetzt etwas zeigen.«
H. P. blinzelte verwirrt, erhob sich aber gehorsam von seinem Sitzplatz und folgte mir in die Halle hinaus und die Treppe hinauf. Auf seinem Gesicht erschien ein besorgter Ausdruck, als er sah, daß ich das Arbeitszimmer meines Großvaters ansteuerte. Ein Ausdruck, der sich in pures Entsetzen verwandelte, als ich die Tür öffnete und ihn mit einer übertrieben höflichen Geste aufforderte einzutreten.
»Großer Gott«, murmelte er. »Du hast …«
»Renoviert«, unterbrach ich ihn, »Ja. Ich war den alten Plunder ohnehin schon lange leid.«
H. P. antwortete gar nicht, sondern trat mit einem weiteren Schritt an mir vorbei und vollends in das Zimmer hinein. Ich sah, daß er bleich wurde, als er erkannte, daß das gesamte Mobiliar verschwunden war.
Und dann atmete er erleichtert auf.
»Gott sei Dank«, flüsterte er. »Und ich habe schon gedacht, du meinst es wirklich ernst.«
Ich verstand kein Wort. Beunruhigt betrat ich ebenfalls das Zimmer, drehte mich in die Richtung, in die sein Blick fiel
und stieß einen leisen, erschrockenen Laut aus.
Das Zimmer sah so aus, wie es der Innenarchitekt hinterlassen hatte, bis auf einen Unterschied: Vor der dem Fenster gegenüberliegenden Wand, dort, wo heute morgen noch der Warhol-Druck gehangen hatte, thronte die Standuhr.
Ich hängte endgültig ein, nachdem die Post zum drittenmal unterbrochen hatte, weil sich am anderen Ende auch nach zwanzigmaligem Läuten niemand meldete.
›Einhängen‹ ist eigentlich eine milde Umschreibung.
Ich knallte den Hörer so heftig auf das Telefon zurück, daß der ganze Apparat hörbar knirschte und Mary, die gerade vorüberging, einen Moment innehielt und mich stirnrunzelnd ansah.
»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?« fragte sie.
»Ja«, fauchte ich. »Versuchen Sie weiter, diesen Antiquitä-
tenhändler zu erreichen. Er soll sich bei mir melden. Und zwar auf der Stelle!«
Mary griff gehorsam nach dem Telefonhörer und begann die Nummer einzutippen, die ich auf einem Zettel daneben notiert hatte. Aber sie sah mich dabei auf sehr sonderbare Weise an.
Beinahe erschrocken.
»Ist irgend etwas?« fragte ich gereizt.
»Ich … glaube nicht, daß er etwas damit zu tun hat«, antwortete Mary zögernd.
»So? Und wieso glauben
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