Der Erbe der Nacht
Woche. Mittlerweile habe ich nichts mehr von Ihnen gehört.«
»Sie haben es sehr eilig, wie?« murmelte Card leise.
»Man könnte meinen, sie laufen vor irgend etwas davon.«
Plötzlich klang seine Stimme kalt, hart und unnachgiebig wie Stahl. »Mittlerweile haben sich gewisse Dinge geändert.«
»Gewisse Dinge?« wiederholte ich beunruhigt. Ich war überzeugt, daß Card mich nicht nur drangsalieren wollte. Er war mit einer ganz bestimmten Absicht hier.
»Sehen Sie, Sir, selbst Scotland Yard ist nicht so dumm, wie manche Leute glauben«, sagte Card. Er wirkte richtig vergnügt, als er fortfuhr: »Haben Sie schon einmal den Namen Stanley Martin gehört, Sir?«
»Martin?« Ich mußte meine Verwirrung nicht einmal heu-cheln. »Stanley Martin?«
Card nickte. »Ein bekannter Londoner Antiquitätenhändler.«
»Oh«, sagte ich.
Card grinste noch ein bißchen breiter. »Ja, oh. Sie lesen keine Zeitung, wie?«
»Selten«, gestand ich. »Was … ist denn mit ihm?«
»Er ist tot, Sir«, antwortete Card.
»Tot?« Irgendwie schien ich das Wort falsch betont zu haben, denn in Cards Augen blitzte es triumphierend auf.
»Sie kennen diesen Mann nicht?« fragte er lauernd.
Natürlich kannte ich ihn. Aber ich muß wohl in diesem Augenblick irgendwie in Panik geraten sein, denn ich tat das Dümmste, was ich überhaupt hätte tun können: Ich schüttelte den Kopf und sagte mit allem Nachdruck: »Nein.«
»Das ist sonderbar, Sir«, antwortete Card. »Wissen Sie, er hat seiner Frau erzählt, daß er zu Ihnen wollte. Es ging um irgendein Möbelstück, das Sie ihm verkauft haben; eine sehr wertvolle Standuhr, glaube ich.«
»Ach, diesen Antiquitätenhändler meinen Sie«, stotterte ich verstört. »Ja, sicher, jetzt erinnere ich mich. Ich konnte mich nur nicht an den Namen besinnen.«
»Aber Sie haben ihm diese Uhr verkauft?«
Ich nickte.
»Sie verlieren keine Zeit, das Erbe Ihres Großvaters zu barer Münze zu machen, wie?« fragte Card spitz, hob aber abwehrend die Hand, als ich auffahren wollte. »Aber das ist Ihre Sache. Jedenfalls hat er seiner Frau am Telefon erzählt, daß mit dieser Uhr irgend etwas nicht zu stimmen scheint. Sie weiß leider nicht genau, was er meinte. Aber sie sagt, daß er sehr aufgebracht klang, richtig außer sich. Und das, Sir, war das letzte, was sie von ihm gehört hat.«
»Ich … verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen, Inspektor. Was … meinen Sie damit?« fragte ich mühsam. Card schnaubte, stand auf und machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das wissen Sie ganz genau«, sagte er hart. »Er verschwand. Stanley Martin war auf dem Weg zu Ihnen, als er verschwand. Und heute morgen wurde seine Leiche gefunden.
Auf einem Abbruchgrundstück, kaum eine Meile von Ihrem Haus entfernt.«»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, wiederholte ich stur.
Card grinste böse. »Das macht nichts«, sagte er. »Wir haben Zeit genug, uns über alles zu unterhalten. Folgen Sie mir.«
Ich widersprach nicht, sondern erhob mich gehorsam von meinem Platz. Es war völlig sinnlos, weiter mit ihm diskutieren zu wollen oder gar einen Fluchtversuch zu unternehmen; Card wartete nur auf einen handfesten Grund, mich in Ketten zurück zum Yard zu schleifen.
Die beiden Männer neben der Tür beendeten rein zufällig im gleichen Moment ihre Zeitungslektüre, in dem wir zwischen ihnen hindurchgingen, falteten die Blätter zusammen und folgten uns. Card ging im Sturmschritt neben mir her, blieb aber schon nach wenigen Metern nochmals stehen und deutete mit einer Kopfbewegung über den Bahnsteig.
»Und Ihre Komplizen nehmen wir auch gleich mit«, sagte er fröhlich. Ich sah gleich, was er meinte. Rowlf war es nicht besser ergangen als mir. Er stand mit geballten Fäusten und blitzenden Augen einem guten halben Dutzend unglaublich unauffällig gekleideter Männer gegenüber und schien sich noch nicht entschieden zu haben, ob er sie verdreschen oder ihnen folgen sollte; während H. P. mit steinernem Gesicht zwischen zwei von Cards Leuten zum Ausgang ging.
Ich hatte bisher nicht einmal bemerkt, daß er auch hier war.
»Sie sehen jetzt«, sagte Card süffisant, »daß Sie sich heute das ganze alberne Versteckspiel hätten sparen können.«
»Dann waren das also Ihre Männer vor meinem Haus. Und ich dachte, ich hätte sie abgeschüttelt«, sagte ich düster.
Card blinzelte verwirrt. »Welche Männer?« fragte er. »Ich habe niemanden auf Sie angesetzt. Wir haben uns die Freiheit genommen, Ihr Telefon anzuzapfen,
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