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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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redeten.
    »Erschrick nicht, Robert«, sagte er. »Ich weiß, daß du Angst vor mir hast, aber das mußt du nicht. Ich bin gekommen, um dich zu warnen.«
    Ich starrte ihn an. Die Erinnerung an jenen schrecklichen Morgen vor H. P.s Haus durchzuckte mich, dennoch glaubte ich zu spüren, daß es diesmal anders war. »Du bist in Gefahr, Robert«, fuhr die Erscheinung fort. »Geh. Verlaß dieses Haus.
    Verlaß die Stadt, am besten das Land. Sie werden dir nichts tun, solange du der Uhr nicht zu nahe kommst.«
    »Das … das ist unmöglich!« krächzte ich. »Du bist nicht mein Großvater. Mac ist tot!«
    Der Blick der trüben Totenaugen wurde traurig.
    »Das stimmt«, sagte er. »Ich bin tot. Aber der Tod ist nicht das, wofür die meisten ihn halten, Robert. Ich bin zurückgekommen, um dich zu warnen, Robert. H. P. sagt dir nicht die ganze Wahrheit. Dein Vater war ein Magier, und er kämpfte auf der Seite des Guten, aber es war H. P.. der ihn vernichtete.
    Und er wird auch dich töten, wenn du den Fehler begehst, ihm zu glauben.«
    »Aber warum sollte er das tun?«
    »Weil du der Sohn des Hexers bist, Robert«, fuhr die unheimliche Geisterstimme fort. »Du bist ein Magier wie dein Vater. Du hast deine Kräfte noch nicht entdeckt, aber es wird nicht mehr lange dauern. Du bist sein Erbe, und schon bald wirst du stärker sein, als es dein Vater jemals war. So stark, daß auch H. P. dir nicht mehr gefährlich werden kann. Deshalb will er dich töten, ehe du deine Macht gebrauchen lernst!
    Glaube mir! Geh fort aus diesem Haus! Es ist eine Falle.
    Wenn du die Uhr betrittst, erwartet dich ein Schicksal, das tausendmal schlimmer ist als der Tod!«
    »Das … das ist nicht wahr!« stammelte ich. »Du bist nicht mein Großvater! Du bist der Wächter!«
    »Würde ich mit dir reden, wenn ich das wäre?« fragte Groß-
    vater sanft. »Wäre alles so, wie H. P. dich glauben machen will, hätte ich dich dann nicht längst getötet?«
    Was er sagte, klang überzeugend. Nicht, daß ich in diesem Moment fähig gewesen wäre, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. In meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Doch seine Worte bewirkten etwas in mir. Er hatte recht. Wäre er das Wesen, das Mac getötet hatte, die Kreatur, deren rotglühende Augen mich aus den Schatten heraus angestarrt hatten was hätte ihn daran hindern sollen, mich einfach zu vernichten, hilf- und wehrlos, wie ich war?
    »Meine Zeit läuft ab«, fuhr Mac fort. »Ich muß gehen, Robert. Aber denke an meine Warnung. Verlaß dieses Haus!«
    Die letzten Worte waren kaum noch zu verstehen, wehten wie von weit, weit her an mein Ohr. Die Gestalt meines Großvaters begann zu verblassen. Für einen Moment sah ich ihn noch, ein halb durchsichtiger Schemen, dann trieb seine Silhouette auseinander wie Nebel, in den der Wind fährt, und ich war wieder allein. Und wie durch Zauberei erlosch auch die Nacht vor den Fenstern.
    Schaudernd wandte ich mich um und ging die Treppe hinunter. Ich hatte nicht einmal Angst, in diesem Augenblick. Ich hatte mit einem Toten gesprochen, aber ich hatte keine Angst.
    Dafür stand mein Entschluß fest. Ich wußte jetzt, was ich zu tun hatte.
    Als ich in die Halle hinunterkam, lief mir Mary über den Weg. Ich winkte sie herbei. »Packen Sie ein paar Sachen zusammen, Mary«, sagte ich. »Und danach rufen Sie am Bahnhof an und buchen ein Erste-Klasse-Abteil für mich.«
    »Und wohin?« fragte Mary und starrte mich verblüfft an.
    »Das ist egal«, antwortete ich. »Der erste Zug, der England verläßt. Ganz gleich wohin. Nur möglichst weit weg.«

    Ehe Mary sich von ihrem Staunen erholt hatte, ließ ich sie stehen. Als ich mich zum Salon wandte, fiel mein Blick noch einmal auf die Treppe, und was ich sah, überzeugte mich endgültig davon, daß ich endlich auf dem richtigen Weg war.
    Auf der obersten Stufe stand mein Großvater und lächelte zufrieden.

    Es ging auf drei Uhr zu, als ich den Bahnhof erreichte.
    Meine Reisevorbereitungen hatten nicht viel Zeit in Anspruch genommen; eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten war schnell gepackt, mein Paß war wie stets griffbereit gewesen, und ich hatte zum Glück auch eine größere Summe Bargeld im Haus gehabt, die mir ganz unabdingbar erschien.
    Ich traute es H. P. nämlich durchaus zu, mich zu verfolgen und meine Spur etwa anhand der Kreditkarten, die ich benutzen mochte, aufzunehmen.
    Und mein Verdacht schien sich zu bestätigen, kaum daß ich das Haus verließ ich wurde beobachtet. Auf der

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