Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
Schuld jetzt nicht auf diesen göttlichen Kuchen!“
„ Hör bloß nicht auf diesen kleinen Schwätzer! Du bist alles andere als fett, Lisa“, entrüstete sich Áine. „Du siehst aus wie das blühende Leben und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich freue mich, wenn wenigstens dir mein Kuchen schmeckt.“
Betreten senkte Manuel den Blick auf seinen eigenen Teller und beeilte sich , das bisher kaum angerührte Gebäckstück aufzuessen.
„ Irgendwann kommen auch wieder Zeiten, in denen du keine Gelegenheit mehr zum Essen findest, weil dir entweder tagelang übel ist oder dich deine Kinder auf Trab halten. Also, iss ruhig, Mädel.“
Damien sagte irgendetwas auf Gälisch, worauf Fearghais in derselben Sprache antwortete und beide Männer wie die Verrückten loslachten.
„Dieses Mal wird es bestimmt ein Mädchen.“ Damien rieb sich die Hände. „Ich habe da so ein Gefühl.“
„ Du und deine Gefühle …“ Lisa legte den Arm um ihren Gatten, zog ihn zu sich und küsste ihn mitten auf den Mund.
„Als ich schwanger war “, warf Susanne ein, „bin ich während der ersten Wochen bis zum Mittag nicht aus dem Bett gekommen.“
„Und jeden Tag hast du dich abends um acht mit der Ausrede verabschiedet, endlich mal ausschlafen zu müssen“, erinnerte sich Damien lachend und warf Manuel einen boshaften Blick zu.
Wieder ein Thema, bei dem er nicht mitreden konnte! Schmerz durchzuckte ihn, als er den Blick verstohlen über die vor Eifer geröteten, lachenden Gesichter schweifen ließ. Das war es, was eine Familie ausmachte – Freud und Leid und gemeinsame Erinnerungen zu teilen. Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wie so oft dachte er an die kurze Zeit, die er in einer glücklichen Familie verbracht hatte. Sieben Jahre, dann war sein Vater nicht mehr nach Hause gekommen. Er erinnerte sich an die Wärme in dessen Stimme, wenn er mit ihm Gälisch gesprochen hatte. Es war die erste Erinnerung an seinen Vater.
Und die letzte.
„ Ná bíodh ceist ort faoi. Tá grá agam duit, mo mhac. Slan agat !”
Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, hatte eine melodische Männerstimme ihm zum Abschied versichert. Er bildete sich ein, noch immer die Hand zu spüren, die ihm voller Güte über das Haar strich, sah schattenhaft das liebevolle Lächeln seines Vaters, als der ihm wie jeden Abend einen Gute-Nacht-Kuss gab. Und er hatte ihm geglaubt.
D ann hatte sich die Tür hinter Adrian Ossmann geschlossen und ihn, Manuel, allein in der Dunkelheit zurückgelassen. Jedes einzelne Wort hatte er seinem Vater geglaubt, als er in der Stille seines Zimmers den sich entfernenden Schritten gelauscht hatte.
W as danach folgte, war kein glückliches Wiedersehen, sondern das blanke Grauen und das schreckliche Gefühl, verraten worden zu sein. Verraten von seinem großen Helden und für immer allein. Weil Adrian Ossmann nie mehr wiedergekommen war. Auf Wiedersehen, das hatte er ihm doch versprochen! Für den Jungen, der auch Monate danach noch aufhorchte, wenn sich vor der Haustür Schritte näherten, sollte es keines geben. Sein Vater hatte ihn im Stich gelassen.
Manuel saß wie versteinert da, geblendet von diesen unerwarteten Gedächtnisblitzen. Die Kehle schnürte sich ihm schmerzhaft zu, bis er kaum noch atmen konnte. Er merkte erst, dass er am ganzen Körper zitterte, als er die Kaffeetasse mit einem Ruck auf den Teller stellte. Er musste fort! Abrupt, mehr aus Instinkt als aus bewusster Überlegung, stieß er seinen Stuhl zurück und stürzte zur Tür. Er stolperte hinaus und prallte mit Éamonn Gallagher, dem Stallmeister, zusammen, der sich mit offenem Mund nach ihm umdrehte, als er ihn erkannte.
„Ganz recht, das Sensibelchen der Familie ist zurück“, erklärte Ean Ó Briain voll Todesverachtung und schob Éamonn vor sich her in Richtung Salon. „Von nun an wird es interessant in diesem Haus.“
3. Kapitel
Er wusste, es war ein sinnloser Versuch, der unerträglichen Qual seiner Erinnerungen zu entkommen, dennoch lief er immer weiter. Er wollte nichts mehr sehen von der Familienidylle, die sie ihm am Kaffeetisch demonstriert hatten. Keine Sekunde länger ertrug er es, ihr Lachen zu hören und Zeuge ihres liebevollen Miteinanders zu werden.
Ohne einen Gedanken an den überdrehten Eindruck zu verschwenden, den er bei seiner Familie hinterlassen haben musste, eilte er durch den Garten, vorbei an den Obstbäumen, bis die Wiesen und Bäume vor seinen Augen verschwammen. Er merkte schon bald,
Weitere Kostenlose Bücher