Der Erdbeerpfluecker
ßberlegungen lieber auf etwas Solideres als auf Gedichte.
Der Chef hatte ihn davor gewarnt, sich voreilig auf eine Person zu konzentrieren und andere Spuren deshalb womöglich nicht hartnäckig genug zu verfolgen. »In welcher Beziehung soll denn der unbekannte Freund von Carola Steiger zum ersten Opfer, Simone Redleff, gestanden haben? Da war von einem dubiosen Verhältnis nie die Rede.«
Dieser Einwand war nicht von der Hand zu weisen. Simone hatte keinen festen Freund gehabt. Zumindest hatte sie mit ihren Eltern nie über einen Freund gesprochen und auch nie einen mit nach Hause gebracht.
Die Redleffs waren späte Eltern, die mit den Füßen nicht so ganz in der Gegenwart zu stehen schienen. Sie hatten ihre Tochter zu einem sehr zurückhaltenden, schüchternen, beinahe scheuen Mädchen erzogen. Das war von allen Schülern und Schülerinnen ihres Jahrgangs bestätigt worden.
Konnte der erste Mord zufällig passiert sein? Ohne dass der Mörder das Opfer gekannt hatte? Aber wie passte dann der zweite ins Bild?
Bert rief bei den Kollegen in Norddeutschland an. Sie hatten damals die Saisonarbeiter dort im weiten Umkreis gründlich unter die Lupe genommen. Hatten Namenslisten für die Gegend um Jever und die um Aurich erstellt, genau wie Bert es hier getan hatte.
Gleich nach dem Mord an Simone Redleff hatte Bert darum gebeten, dass sie die Listen untereinander austauschten. Er hatte unter den Erdbeerpflückern um Eckersheim einige Spargelstecher, Erdbeerpflücker und Obstplantagenarbeiter aus Norddeutschland wieder gefunden. Doch alle hatten ein Alibi.
Nichts Neues aus Norddeutschland. Sie stocherten im Trüben, nicht anders als Bert und seine Kollegen, nur bereits wesentlich länger.
Bert sah seine Gesprächsnotizen noch einmal durch. Die meisten Erdbeerpflücker waren mundfaul gewesen, einige aufbrausend und aggressiv. Alle hatten gemauert. Wenn sie sich schon nicht dagegen wehren konnten, von den Bullen befragt zu werden, dann wollten sie es ihnen wenigstens so schwer wie möglich machen.
Die Notizen waren kurze Momentaufnahmen der Personen, mit denen Bert gesprochen hatte. Für ihn waren sie aussagekräftiger als jeder Tonbandmitschnitt. Weil er eine Auswahl unter den Eindrücken und Informationen treffen musste. Meistens stellte sich später heraus, dass er das Wesentliche aufgeschrieben hatte.
Selbst gestrickt nannte Margot seine Untersuchungsmethoden. Wenn sie gut drauf war, gab sie dem Wort eine liebevolle Betonung, wenn nicht, dann ließ sie es giftig klingen. Aber es stimmte. Bert hatte sich seine Methoden im Laufe der Jahre selbst erarbeitet. Er hatte lange die unterschiedlichen Möglichkeiten ausprobiert, Wissen und Intuition miteinander zu verbinden.
Seine Vorgehensweise war altmodisch. Wenn es darauf ankam, traute er seinem Kopf mehr als den raffiniertesten technischen Untersuchungen. Und seinem Gefühl. Aber darüber sprach er kaum noch. Manche betrachteten ihn sowieso schon als komischen Kauz.
Die Notizen ließen auch beim neuerlichen Lesen keinen Verdacht aufkommen. Vielleicht sollte er die Erdbeerpflücker noch einmal befragen.
Es gab, da hatte der Chef Recht, keine offenkundige Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Opfer. Nichts. Nirgends. Außer der Tatsache, dass die Mädchen auf die gleiche Weise getötet worden waren und dass sie beide nicht allzu weit von Eckersheim entfernt gewohnt hatten.
Und die Erdbeerfelder gehörten einem Eckersheimer Bauern.
Bert klappte das Notizbuch zu und steckte es wieder in die Tasche seines Sakkos. Er verließ das Büro, stieg in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zu dem Erdbeerbauern. Noch wusste er nicht genau, was er dort tun würde.
Anschließend wollte er versuchen, Jette und Merle zu erreichen. Abgesehen davon, dass er es versprochen hatte, machte ihn die Vorstellung nervös, dass sie vielleicht schon damit begonnen hatten, in der Gegend herumzuziehen und nach dem Mörder zu suchen.
Das
Turmcaffee
war tatsächlich ein Caffee in einem Turm. Einem Turm aus dem fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert. Als ich noch in der Grundschule war, hatten wir mal eine Besichtigungstour durch die Altstadt von Bröhl gemacht und zu jedem Stück historischer Mauer einen Vortrag von unserer Lehrerin, Frau Laubsam, aushalten müssen.
Bei diesem Ausflug hatte ich mich zum ersten Mal verliebt. Er hatte wunderschönes rotes Haar, hieß Justin, sein Vater war Deutscher, seine Mutter Engländerin, und wenn er aufgeregt war,
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