Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Er war nicht da.
Er war gar nicht da gewesen: er war ein Geistbote gewesen, ein Bild, eine Darbietung. Es war das erste Mal, dass Erle Zeuge gewesen war, wie die großen Kräfte dieser Meister sich manifestierten, und es hätte ihn entmutigt und erschüttert, wäre er nicht schon jenseits von Staunen und Furcht gewesen.
Er folgte dem Türwächter hinaus in die Nacht, durch die Straßen, an den Mauern der Schule vorbei, über die Felder unterhalb eines hohen, runden Hügels und entlang einem Bache, der seine Wassermusik leise in der Dunkelheit seiner Ufer sang. Vor ihnen lag ein hoher Wald, dessen Bäume von grauem Sternenlicht gekrönt waren.
Der Meister der Formgebung kam des Weges und stieß zu ihnen. Er sah genau so aus, wie er im Zimmer ausgesehen hatte. Er und der Türwächter sprachen kurz miteinander, und dann folgte Erle dem Formgeber in den Hain.
»Die Bäume sind dunkel«, sagte Erle zu Sperber, »aber unter ihnen ist es nicht dunkel. Es ist dort ein Licht - eine Leichtheit.«
Sein Zuhörer nickte; ein leises Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Sobald ich dort ankam, wusste ich, dass ich schlafen konnte. Ich fühlte mich, als hätte ich schon die ganze Zeit über geschlafen, in einem bösen Traum, und als sei ich hier und jetzt wahrhaftig wach: also konnte ich auch wahrhaftig schlafen. Dort war eine Stätte, zu der er mich führte, zwischen den Wurzeln eines riesigen Baumes; der Boden war dort ganz weich von dem heruntergefallenen Laub des Baumes, und er sagte mir, ich könne dort liegen. Ich tat wie geheißen und ich schlief. Ich kann Euch mit Worten gar nicht beschreiben, wie süß dieser Schlummer war.«
Die Mittagssonne war heiß geworden; sie gingen ins Haus, und der Gastgeber trug Brot und Käse und ein Stück Dörrfleisch auf. Erle blickte sich im Zimmer um, während sie aßen. Das Haus hatte nur den einen langen Raum mit seinem kleinen Alkoven auf der Westseite, aber es war groß und luftig, solide gebaut, mit kräftigen Brettern und Balken, einem glänzenden Fußboden, einem großen gemauerten Kamin. »Dies ist ein prächtiges Haus«, meinte Erle.
»Ein altes. Die Leute nennen es das Haus des Alten Magiers. Nicht meinetwegen, auch nicht wegen meines Lehrmeisters Aihal, der hier einst wohnte, sondern wegen seines Lehrmeisters Heleth, der zusammen mit ihm das große Erdbeben beschwichtigte. Es ist ein gutes Haus.«
Erle schlief erneut eine Weile unter den Bäumen, und die Sonne schien auf ihn durch die sich sanft bewegenden Blätter. Auch sein Gastgeber ruhte, jedoch nicht lange: als Erle aufwachte, stand ein großer, mit den kleinen goldenen Pflaumen wohl gefüllter Korb unter dem Baum, und Sperber war auf der Ziegenweide und flickte dort einen Zaun. Erle wollte ihm helfen, aber die Arbeit war bereits getan. Die Ziegen freilich waren längst fort.
»Keine von ihnen gibt Milch«, murrte Sperber, als sie zum Haus zurückgingen. »Sie haben nichts Besseres zu tun, als neue Wege durch den Zaun zu finden. Ich halte sie bloß, um mich zu ärgern ... Der erste Zauberspruch, den ich je lernte, war, Ziegen vom Wandern abzuhalten. Meine Tante lehrte ihn mich. Er nützt mir heutzutage ebenso viel, als sänge ich ihnen ein Liebeslied vor. Ich gehe besser nachschauen, ob sie in den Gemüsebeeten der Witwe sind. Du hast nicht zufällig einen Zauberspruch in deinem Repertoire, mit dem man eine Ziege anlockt, oder?«
Die beiden braunen Geißen waren in der Tat in ein Kohlbeet am Rande des Dorfes eingedrungen. Erle wiederholte den Zauberspruch, den Sperber ihm gesagt hatte:
Not hierth malk man,
hiolk han merth hanl
Die Ziegen starrten ihn mit wachsamer Verachtung an und entfernten sich ein Stück. Laute Rufe und ein Stock brachten sie aus dem Kohl wieder zurück auf den Pfad. Sperber holte ein paar Pflaumen aus seiner Tasche hervor, und mit beharrlichem Locken, Versprechungen und gutem Zureden führte er die Ausreißer wieder zurück auf ihre Weide.
»Das sind schon seltsame Geschöpfe«, sagte er, als er das Tor zuklinkte. »Bei einer Ziege weiß man nie, woran man ist.«
Erle dachte, dass er selbst auch nie wusste, woran er mit seinem Gastgeber war, aber er sprach den Gedanken nicht aus.
Als sie wieder im Schatten saßen, sagte Sperber: »Der Formgeber ist kein Nordbereichler, er ist ein Karg. Wie mein Weib. Er war Krieger von Karego-At. Der einzige Mann, den ich kenne, der je aus dem Kargadreich nach Rok kam. Die Karg haben keine Zauberer. Sie misstrauen aller Hexerei. Aber sie haben
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