Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
an ihren angestammten Platz, vereinten sie miteinander, beruhigten sie. Während Erle arbeitete, murmelte er leise einen aus zwei Wörtern bestehenden, klanglosen Singsang. Es waren Wörter aus der Alten Sprache. Ged kannte ihre Bedeutung und kannte sie doch nicht. Erles Gesicht war heiter, alle Sorgen, alle Bedrückung waren aus ihm gewichen: ein Gesicht, das so vertieft war in Zeit und Aufgabe, dass zeitlose Ruhe ihm entströmte.
Seine Hände lösten sich von dem Krug, öffneten sich wie die Blätter einer Blüte, die erblüht. Der Krug stand auf dem Eichentisch - heil.
Er betrachtete ihn mit stiller Freude.
Als Ged ihm dankte, sagte er: »Es war überhaupt nicht schwer. Es ist ein schönes Stück, und es ist aus gutem Ton gemacht, 's ist die stümperhafte Arbeit, die zu flicken Kraft und Mühe kostet.«
»Ich hatte eine Idee, wie du vielleicht Schlaf finden könntest«, sagte Ged.
Erle war beim ersten Licht aufgewacht und sogleich aufgestanden, auf dass sein Gastgeber sich in sein Bett legen und bis tief in den Tag hinein schlafen könne; aber dies war natürlich keine Dauerlösung.
»Komm mit«, sagte der alte Mann, und sie machten sich auf den Weg landeinwärts auf einem Pfad, der an der Ziegenweide vorbeiführte und sich zwischen Hügeln, kleinen, halb bestellten Feldern und Waldstücken dahinschlängelte. Gont war in Erles Augen ein wildromantischer Ort, zerklüftet, rau und wüst; der zottige, düster dräuende Berg ragte allgegenwärtig auf.
»Mir kam der Gedanke«, sagte Sperber, während sie gingen, »dass, wenn ich das Gleiche vermag wie der Meister der Kräuterkunde, nämlich dich von der Mauer fern zu halten, indem ich lediglich meine Hand auf dich lege, es womöglich auch andere gibt, die dir helfen könnten. Wenn du nichts gegen Tiere einzuwenden hast.«
»Tiere?«
»Du musst wissen«, begann Sperber, aber weiter kam er nicht: eine seltsame Kreatur stürmte im selben Moment den Pfad herunter, ihnen entgegen. Sie war in Röcke und Tücher gepackt; ihr Kopf strotzte von Federn, die steif in alle Richtungen ragten, und sie trug hohe Lederstiefel. »O Meistasperb, o Meistasperb!«, schrie sie.
»Hallo, Heide. Nun beruhig dich doch«, erwiderte Sperber. Die Frau blieb stehen, den Körper hin und her wiegend, sodass die Federn an ihrem Kopf auf und ab wogten, ein breites Grinsen im Gesicht. »Sie wusste, dass du kommst!«, rief sie. »Sie hat mit den Fingern den Sperberschnabel gemacht, so, siehst du, so hat sie gemacht, und sie hat zu mir gesagt: Geh, geh! - mit ihrer Hand! Sie wusste, dass du kommst!«
»Und siehst du? Sie hatte Recht. Ich bin gekommen!«
»Uns besuchen?«
»Euch zu besuchen. Heide, dies ist Meister Erle.«
»Meista Erle«, sagte sie leise, schlagartig ruhig werdend, als sie Erle in ihr Bewusstsein aufnahm. Sie schrumpfte förmlich zusammen, zog sich in sich selbst zurück, schaute hinunter auf ihre Füße.
Sie hatte gar keine Lederstiefel an. Ihre nackten Beine waren von den Knien abwärts mit einer dicken, glatten Schicht braunem, trocknendem Matsch überzogen. Die Röcke hatte sie gerafft und die Säume in den Bund gestopft.
»Du warst Frösche fangen, nicht wahr, Heide?«
Sie nickte geistesabwesend.
»Ich geh und sag's dem Tantchen«, sprach sie - leise, fast im Flüsterton beginnend und mit einem lauten Schreien endend - und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war.
»Sie ist eine brave Seele«, meinte Sperber. »Sie hat früher immer meinem Weib geholfen. Sie wohnt jetzt bei unserer Hexe und hilft ihr. Ich denke, du wirst nichts dagegen haben, das Haus eines Zauberweibes zu betreten?«
»Im Leben nicht, mein Herr.«
»Viele scheuen sich davor. Edle und Gemeine, Zauberer und Hexenmeister.«
»Mein Weib Lily war schließlich selbst eine Hexe.«
Sperber senkte den Kopf und schwieg eine Weile, während sie weitergingen. »Wie erfuhr sie von ihrer Gabe, Erle?«
»Sie war ihr angeboren. Als Kind ließ sie einen abgebrochenen Ast wieder an seinem Baum anwachsen, und andere Kinder brachten ihr ihre zerbrochenen Spielsachen zum Ganzmachen. Doch jedes Mal, wenn ihr Vater sie dabei ertappte, schlug er ihr auf die Hände. Ihre Familie genoss hohes Ansehen in der Stadt. Geachtete Leute«, erzählte Erle mit seiner ruhigen, sanften Stimme. »Sie wollten nicht, dass sie mit Hexen Umgang pflegte. Weil es sie von einer Heirat mit einem geachteten Mann abhielte. Also betrieb sie ihre Studien ganz für sich. Denn auch die Hexen ihrer Stadt wollten nichts mit ihr zu tun
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