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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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geküsst und zu ihm gesagt, er solle weise herrschen. Mein Herr und liebster Gefährte, hatte er ihn geheißen.
    »Er schenkte mir mein Königreich«, hatte Lebannen zu Erle gesagt. Ganz und aus freien Stücken.
    Und deshalb wollte Ged weder nach Havnor kommen, noch wollte er, dass Lebannen nach Gont käme, Rat bei ihm einzuholen. Er hatte ihm die Macht übergeben - vollständig, aus freien Stücken. Er wollte auch nicht die Spur des Eindrucks erwecken, er mische sich ein, er werfe seinen Schatten auf Lebannens Licht.
    »Er hat genug getan«, hatte der Türwächter gesagt.
    Aber Erles Geschichte hatte Ged dazu bewogen, den Mann zu ihm, Lebannen, zu schicken und ihn zu bitten, zu tun, was die Notwendigkeit erheischte.
    Sie war in der Tat seltsam, Erles Geschichte, und Geds Äußerung, die Mauer selbst werde womöglich fallen, war noch seltsamer. Was mochte sie bedeuten? Und warum sollten die Träume eines Mannes so großes Gewicht tragen?
    Er selbst hatte von den Randgebieten des trocknen Landes geträumt, vor langer Zeit, als er und der Erzmagier Ged zusammen gereist waren, noch bevor sie überhaupt nach Selidor gekommen waren.
    Und auf jener westlichsten aller Inseln war er Ged in das trockene Land gefolgt. Über die Steinmauer hinweg. Hinunter in düstere Städte, wo die Schatten der Toten in Torwegen standen oder ohne Ziel und ohne Zweck durch Straßen wandelten, die allein vom Schein der regungslos am Himmel stehenden Sterne erhellt wurden. Mit Ged hatte er das gesamte Land durchmessen: ein beschwerlicher Weg zu einem dunklen Tal aus Staub und Steinen am Fuß der Berge, dessen einziger Name Pein war.
    Er öffnete die Hand, schaute auf den kleinen schwarzen Stein, den er darin hielt, und schloss seine Hand wieder um ihn.
    Aus dem Tal des trockenen Flusses waren sie, nachdem sie vollbracht hatten, weshalb sie gekommen waren, hinauf in die Berge geklommen, da es kein Zurück gegeben hatte. Sie waren den Weg hinaufgestiegen, der für die Toten verboten war, hatten Felsen erklommen, die ihnen die Hände versengt hatten, bis Ged nicht mehr gekonnt hatte. Lebannen hatte ihn so weit getragen, wie es ihm nur möglich gewesen war; dann war er mit ihm weiter gekrochen bis zum Ende der Dunkelheit, der hoffnungslosen Klippe der Nacht. Und so war er denn mit ihm ins Sonnenlicht zurückgekehrt und zu dem Rauschen der See, die sich an den Ufern des Lebens brach.
    Es war lange her, seit er so lebhaft an diese schreckliche Reise zurückgedacht hatte. Aber der kleine schwarze Gesteinsbrocken aus jenen Bergen war immer über seinem Herzen.
    Und es schien ihm jetzt, als wäre die Erinnerung an jenes Land, an die Dunkelheit, die dort herrschte, und an den Staub, stets gleich unter dem hellen, bunten Spiel des Tages, obgleich er immer von ihr wegschaute. Er schaute weg, weil er das Wissen nicht ertragen konnte, dass dies der Ort war, an den er am Ende zurückkehren würde -allein, ohne Geleit, und für immer. Um mit leerem Blick stumm in den Schatten einer Schattenstadt zu stehen. Niemals das Sonnenlicht zu schauen oder Wasser zu trinken oder eine warme, lebendige Hand zu berühren.
    Abrupt erhob er sich und schüttelte die morbiden Gedanken von sich ab. Er steckte den Stein wieder zurück in sein Täschchen, machte sich bettfertig, löschte das Licht und legte sich hin. Sofort sah er es wieder vor sich: das düstere, graue Land aus Stein und Staub. In weiter Ferne erhob es sich zu schwarzen, schroffen Gipfeln, aber hier fiel es ab, stets nach rechts, hinunter in äußerste Dunkelheit. »Was liegt in dieser Richtung?«, hatte er Ged gefragt, als sie weiter und immer weiter vorgedrungen waren. Sein Gefährte hatte geantwortet, er wisse es nicht, vielleicht höre dieser Weg niemals auf.
    Lebannen setzte sich auf, erzürnt und alarmiert zugleich über den unerbittlichen Gang seiner Gedanken. Sein Blick suchte das Fenster. Es ging nach Norden hinaus. Er mochte den Blick von Havnor über die Hügel zu dem hohen, grau gekrönten Berg Onn. Weiter nördlich, unsichtbar für ihn, hinter der Großen Insel und jenseits der Ea-See, war Enlad, seine Heimat.
    Vom Bett aus konnte er nur den Himmel sehen, einen klaren Sommernachthimmel, das Herz des Schwanes, das hoch dort droben am Firmament stand, zwischen geringeren Sternen. Sein Königreich. Das Königreich des Lichtes, des Lebens, in welchem die Sterne im Osten wie weiße Blumen erblühten und in ihrem strahlenden Glanz nach Westen zogen. Er wollte nicht an jenes andere Reich denken, in dem die

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