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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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seinem albernen kleinen Boot. Sein Leben und den Erfolg seines Unternehmens hatte er aufs Spiel gesetzt um einer Vermutung willen, die er den alten Geschichtsbüchern und den Drachenkunden auf Rok entnommen hatte, daß nämlich der Drache auf Pendor derselbe war, der zu Zeiten Elfarrans und Morreds den Westen Osskils verwüstete, bis der in der Namenskunde erfahrene Zauberer Elt ihn aus Osskil vertrieben hatte. Ged hatte mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen.
    »Wir können uns miteinander messen, Yevaud. Du hast die Stärke, ich habe deinen Namen. Können wir uns jetzt einigen?«
    Noch immer schwieg der Drache.
    Ungezählte Jahre lang hatte er auf dieser Insel gehaust, wo Edelsteine und goldene Harnische zwischen Staub, Steinen und Gebeinen verstreut lagen. Er hatte zugeschaut, wie seine schwarze Eidechsenbrut in den Hausruinen spielte und wie seine Jungen versuchten, von den Klippen hinunterzufliegen. Lange, zu lange hatte er in der Sonne gelegen und geschlafen. Keine Stimme und kein Segel hatten ihn gestört. Yevaud war alt geworden. Nun fiel es ihm schwer, sich aufzuraffen und sich diesem Zauberknaben zu stellen, diesem geringen, schwächlichen Feind, vor dessen Stab er, der alte Drache, erzitterte.
    »Neun Steine kannst du dir wählen aus meinem Schatz«, sagte er schließlich, und die Stimme drang zischend und züngelnd aus dem langen Rachen. »Die besten kannst du dir nehmen. Wähle! Und dann geh fort!«
    »Ich will deine Steine nicht, Yevaud.«
    »Was ist aus der Gier des Menschen geworden? Früher, im Norden, begehrte man über die Maßen das funkelnde Gestein. Ich weiß, was du begehrst, Zauberer. Auch ich kann dir Sicherheit bieten, denn ich weiß, was dich retten kann. Ich allein weiß, was dich retten kann. Ein Ungeheuer folgt dir. Ich kann dir seinen Namen nennen.«
    Ged hörte sein Herz klopfen. Er umklammerte seinen Stab und verharrte reglos wie der Drache. Er bezwang eine plötzliche, unerwartete Hoffnung.
    Er war nicht ausgezogen, um Rettung für sich selbst zu suchen. Und nur einen einzigen Trumpf hielt er in seiner Hand. Er gab die flüchtige Hoffnung auf und tat das, was er tun mußte.
    »Nicht darum bitte ich, Yevaud.«
    Als er den Namen aussprach, war es ihm, als halte er das mächtige Tier an einer feinen, dünnen Leine, die seinen Hals eng umschloß. Im Blick des Drachen, der auf ihm ruhte, spürte Ged die uralte Tücke und das auf so reichlicher Erfahrung beruhende Wissen des Drachen. Vor seinen Augen sah er die stählernen Krallen, jede so lang wie eines Mannes Unterarm, und den steinharten Panzer, und er wußte um das vernichtende Feuer, das im Rachen des Drachen verborgen war; doch er spürte, wie sich die Leine immer enger zusammenzog.
    Er sprach noch einmal: »Yevaud! Schwöre bei deinem Namen, daß du und deine Söhne nie ins Inselreich kommen werden.«
    Flammen schlugen plötzlich hell und laut aus dem Schlund des Drachen. »Ich schwöre es bei meinem Namen.«
    Die Ruhe kehrte zurück zur Insel, und Yevaud senkte das mächtige Haupt.
    Als er wieder aufblickte, war der Zauberer bereits verschwunden. Sein Segel sah aus wie ein kleiner Fleck, der nach Osten über die Wellen flog, dahin, wo die üppigen, mit Schmuckstücken beladenen Inseln des Innenmeeres lagen. Vor Wut kochend erhob sich der alte Drache von Pendor und krümmte so ungestüm den mächtigen Leib, daß der Turm zerbrach. Heftig schlug er mit den ausgebreiteten Schwingen, die von einem Ende der zerstörten Stadt bis ans andere Ende reichten. Aber sein Schwur hielt ihn gebannt, und er flog weder damals noch je in der Zukunft hinüber zum Inselreich.

Gejagt
    ALS PENDOR HINTER DEM RAND des Meeres verschwunden war, fühlte Ged, nach Osten schauend, wie der Schatten sich wieder in sein Herz schlich. Es war schwer, nach der handgreiflichen Gefahr, die der Drache dargestellt hatte, wieder diesem hoffnungslosen, körperlosen Grauen ausgeliefert zu sein. Er ließ den magischen Wind erschlaffen und segelte mit dem gewöhnlichen Wind weiter, denn nichts drängte ihn vorwärts. Was er nun tun sollte, wußte er nicht. Er mußte fliehen, wie der Drache gesagt hatte – aber wohin? Nach Rok? Dort wäre er jedenfalls geschützt, und vielleicht konnten ihm die Weisen einen Rat erteilen.
    Zunächst aber mußte er zurück nach Untertorning und den Leuten der Insel berichten, was sich zugetragen hatte. Als bekannt wurde, daß er wieder zurückgekehrt sei, schon fünf Tage nach seiner Abfahrt, kamen alle Männer und die halbe Stadt

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