Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
oder von ihm zu hören. Einige gaben zu verstehen, daß er wahrscheinlich über Hosk zurück zum Innenmeer segeln werde und sie hier in der Patsche sitzenlasse, andere glaubten, unter ihnen auch Peckvarry, daß er den Verstand verloren habe und seinen eigenen Tod herbeiwünsche.
Vier Generationen waren herangewachsen, und während dieser Zeit wurden alle Schiffe so gesteuert, daß ihr Kurs weit an Pendor vorbeiführte. Noch kein Magier hatte es mit dem Drachen dort aufgenommen, denn die Insel lag an keiner der bekannten Seerouten. Ihre Herrscher waren Piraten, Sklavenhändler und mordlustige Krieger gewesen, gehaßt von allen Bewohnern im südwestlichen Teil der Erdsee. Aus diesem Grund war es keinem eingefallen, Rache zu nehmen für den Herrscher von Pendor, als der Drache plötzlich aus dem Westen gekommen war und ihn und seine Mannen beim Mahl im Turm überrascht, mit den Flammen aus seinem Schlund erstickt und die schreienden Stadtbewohner ins Meer getrieben hatte. Ungerächt blieb Pendor bis heute, und der Drache hauste dort zwischen den Gebeinen, Türmen und Juwelen, die einst den Fürsten und Prinzen der Küstenländer Paln und Hosk gehört hatten.
All dies war Ged bekannt, denn seit seiner Ankunft in Untertorning hatte er sich alles, was er je über Drachen gehört und gelernt hatte, durch den Kopf gehen lassen und dachte darüber nach. Als er jetzt sein kleines Schiff nach Westen steuerte – er ruderte nicht und machte auch nicht von den Segelkünsten Gebrauch, die ihn Peckvarry gelehrt hatte, sondern zauberte einen magischen Wind herbei und hatte seinen Bug und Kiel mit einem Bannspruch auf den Kurs eingestellt –, beobachtete er, wie die Insel sich langsam über den Rand des Meeres hob. Eile trieb ihn, darum segelte er mit magischem Wind. Was hinter ihm lag, fürchtete er mehr als das, was vor ihm lag. Aber im Lauf des Tages verlor er seine Furcht allmählich und wurde von einer wilden Freude auf den bevorstehenden Kampf erfüllt. Er hatte sich entschieden und war ausgezogen, die Gefahr zu suchen, und je mehr er sich ihr näherte, desto gewisser wurde er, daß er jetzt, vielleicht nur für Stunden, bevor ihn der Tod ereilte, frei war. Denn der Schatten wagte es nicht, ihm in den Rachen des Drachen zu folgen. Weiße Schaumkronen stoben über das graue Wasser des Meeres, dunkle Wolken, vom Nordwind gejagt, stürmten gegen Süden. Er hielt sich westlich, und mit dem hurtigen Zauberwind in den Segeln erblickte er bald die Felsen von Pendor, die erstorbenen Straßen der Stadt und die staubbedeckten Turmruinen.
An der Einfahrt zum Hafen, in einer sichelförmigen, seichten Bucht, brachte Ged den Wind zum Erschlaffen, und sein kleines Boot lag still, nur die Wellen schaukelten es leicht.
Dann erhob er seine Stimme und gebot dem Drachen: »Usurpator von Pendor, erscheine und verteidige deine Haut!«
Seine Stimme wurde von den Brandungswellen erstickt, die an die aschgraue Küste schlugen; aber Drachen haben feine Ohren. Es dauerte nicht lange, und aus einer der Ruinen erhob sich eine riesige schwarze Fledermaus, mit durchsichtigen Flügeln und spindeldürr, kreiste und flog gegen den Nordwind geradewegs auf Ged zu. Sein Herz schwoll beim Anblick dieses Geschöpfes, das seinen Landsleuten nur aus Legenden und Mythen bekannt war, und er lachte und rief: »Geh und sag dem Alten, daß er kommen soll, du Windwurm!«
Denn dies hier war einer der jungen Drachen, einer aus der Brut des weiblichen Drachen aus dem Westbereich, die, wie es die Art weiblicher Drachen ist, ein Nest voll zählederner großer Eier in einem der sonnigen, zerstörten Räume des Turmes hinterlassen hatte und wieder davongeflogen war. Dem alten Drachen von Pendor fiel anheim, auf die Jungen aufzupassen, die wie unheilbringende Eidechsen aus ihren Schalen krochen.
Der junge Drache antwortete nicht. Zog man seine Gattung in Betracht, so war er nicht groß; er hatte ungefähr die Länge eines Schiffes mit vierzig Rudern, und trotz der immensen Spannweite seiner hauchdünnen Flügel war er so dünn wie ein Wurm. Er war noch nicht ausgewachsen, hatte auch noch keine Stimme, und an Drachenlist fehlte es ihm ebenfalls. Er wich nicht von seinem Kurs ab und brachte Geds Boot heftig ins Schwanken; sein Rachen voll scharfer Zähne war weit aufgerissen, als er pfeilschnell aus der Luft auf Ged herabstieß. Ein scharfer Bannspruch machte seine Glieder steif, er verpaßte sein Ziel und fiel wie ein Stein ins Meer. Das graue Wasser schloß sich über
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