Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
mir!«
    »Nein, Drache.« Verwandtschaftliche Bande bestehen zwischen dem Drachen, dem Wind und dem Feuer; ungern kämpfen sie über Wasser. Ged nützte dies zu seinem Vorteil aus und war nicht gewillt, ihn aufzugeben. Doch der schmale Streif Meereswasser, der ihn von den grauen Riesenkrallen trennte, schien kein allzu großer Vorteil mehr zu sein.
    Schwer war es, den wachsamen grünen Blick zu vermeiden.
    »Du bist noch jung für einen Zauberer«, sagte der Drache. »Ich wußte nicht, daß die Menschen so jung in den Besitz ihrer Macht kommen.« Er unterhielt sich mit Ged in der Ursprache, denn das ist noch immer die Umgangssprache der Drachen. Benutzt ein Mensch die Ursprache, so ist er zu unbedingter Wahrheit verpflichtet; ein Drache ist nicht an dieses Gesetz gebunden, denn es ist ihre ureigene Sprache, und sie können darin lügen und Worte verdrehen, wie es ihnen gefällt, sie können den Zuhörer mit Worten blenden und in ein Labyrinth leiten, in dem jedes Wort die Wahrheit widerspiegelt und doch keines zum Ziel führt.
    Oft wurde Ged davor gewarnt, und als der Drache redete, spitzte er die Ohren, jedes Wort auf seine Wahrheit wägend. Doch die Worte, die er vernahm, schienen einfach und klar. »Bist du hierhergekommen, um mich um Hilfe zu bitten, kleiner Zauberer?«
    »Nein, Drache.«
    »Und doch könnte ich dir helfen. Bald wirst du nämlich Hilfe brauchen gegen die Heimsuchung aus dem Dunkeln.«
    Ged stand wie vor den Kopf geschlagen und fand keine Antwort.
    »Was sucht dich heim? Nenne seinen Namen!«
    »Wenn ich seinen Namen wüßte …« Ged sprach nicht weiter.
    Gelber Rauch stieg aus den Nasenlöchern des Drachen, die wie zwei runde Feuergruben aussahen, und umzingelte den langen Kopf.
    »Wenn du es beim Namen nennen könntest, kleiner Zauberer, ja, dann könntest du es vielleicht beherrschen. Es ist möglich, daß ich dir seinen Namen sagen könnte, wenn ich es aus der Nähe sähe. Und es wird näher kommen, wenn du eine Weile hier auf der Insel bleibst. Wo du bist, dahin wird es auch kommen. Wenn du es nicht nahe bei dir haben willst, dann mußt du weglaufen, weit weglaufen und immer weiter weglaufen … Und trotzdem wird es dir folgen. Möchtest du seinen Namen wissen?«
    Ged stand schweigend da. Woher der Drache von dem Schatten wußte, den er, Ged, freigesetzt hatte, das konnte er nur ahnen. Auch woher er dessen Namen kannte, war ihm ein Rätsel. Der Erzmagier hatte gesagt, daß der Schatten keinen Namen habe. Drachen aber haben ihr eigenes Wissen. Sie sind nämlich sehr viel älter als die Menschen. Wenige Menschen nur ahnen, was ein Drache weiß und wie er dieses Wissen erwarb. Diese wenigen sind die Drachenfürsten. Eines nur war sicher, und davon war Ged überzeugt: Wenn der Drache die Wahrheit sprach und ihm den Namen seines schattenhaften Peinigers nennen konnte, damit er, Ged, Macht über dieses Unding bekäme, so wäre der Drache nur dann bereit dazu, wenn es seinen eigenen Zwecken diente.
    »Selten kommt es vor«, sagte der junge Mann endlich, »daß Drachen gewillt sind, den Menschen eine Gunst zu erweisen.«
    »Aber es ist allgemein üblich«, antwortete der Drache, »daß Katzen mit Mäusen spielen, bevor sie sie töten.«
    »Ich kam nicht hierher, um zu spielen oder um als Spielzeug zu dienen, sondern um zu verhandeln.«
    Wie ein blankes Schwert, nur fünfmal länger als ein Schwert, hob sich der Schwanz des Drachen in die Höhe, und mit der Spitze, die den Turm überragte, beschrieb er einen weiten Bogen und legte ihn zurück auf den gepanzerten Rücken, eine Bewegung, die auch Skorpionen eigen ist. Trocken war seine Stimme: »Ich verhandle nicht. Ich nehme nur. Was glaubst du denn zu besitzen, das ich, wenn es mir gefällt, nicht wegnehmen könnte?«
    »Sicherheit. Und zwar deine Sicherheit. Schwöre, daß du von Pendor aus nie östlich fliegen wirst, und ich werde schwören, daß ich dir keinen Schaden mehr zufügen werde.«
    Aus dem Rachen des Drachen kam ein prasselndes Geräusch. Wie eine weit entfernte Steinlawine klang es, wenn bröckelndes Felsgestein den Berg hinunterfällt. Das Feuer tanzte auf seiner dreifach gespaltenen Zunge. Er reckte sich noch höher, eine drohende Gestalt über den Ruinen.
    »Du bietest mir Sicherheit an! Du wagst mir zu drohen! Womit?«
    »Mit deinem Namen, Yevaud.«
    Geds Stimme zitterte, als er den Namen sagte, aber er sprach laut und klar. Beim Klang des Namens erstarrte der Drache. Eine Minute verstrich, dann noch eine. Ged stand lächelnd in

Weitere Kostenlose Bücher