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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Atem stach heiß in der Kehle, er konnte nicht mehr richtig laufen; er stolperte und strauchelte, doch sein unermüdlicher Feind schien nicht in der Lage zu sein, ihn einzuholen, er folgte ihm nur hart auf den Fersen. Das Gebbeth hatte angefangen, ihm zuzuflüstern und zuzuraunen. Es rief ihn zu sich, und jetzt wußte er, daß diese Stimme sein ganzes Leben lang in seinen Ohren gewesen war, daß sie gerade unterhalb der Grenze des Hörbaren gelegen hatte, aber jetzt konnte er sie vernehmen, und er mußte nachgeben, er mußte auf sie hören, er mußte anhalten. Aber er quälte sich weiter, er schleppte sich einen langen, kaum sichtbaren Hang hinauf. Dort, irgendwo vor ihm, glaubte er ein Licht wahrzunehmen, und es schien ihm, als rufe ihm eine Stimme von dort vorn, irgendwo über ihm zu: »Komm, komm!«
    Er versuchte zu antworten, aber die Stimme versagte ihm. Das schwache Licht wurde deutlicher, es fiel durch eine Toreinfahrt unmittelbar vor ihm. Mauern sah er nicht, nur das Tor. Bei seinem Anblick hielt er an, und das Gebbeth riß seinen Umhang an sich und fingerte an seinen Seiten herum, um ihn von hinten zu packen. Ged raffte die letzte Kraft zusammen und warf sich durch das schwach schimmernde Tor. Er versuchte noch, sich umzudrehen und das Tor hinter sich zuzuschlagen, damit das Gebbeth nicht hereinkomme, aber die Kräfte verließen ihn. Er taumelte und griff nach einem Halt. Licht fiel auf ihn und verschwamm ihm vor den Augen. Er fühlte, wie er hinfiel, und im Fallen merkte er noch, wie er aufgefangen wurde; aber er war völlig erschöpft, und die Sinne schwanden ihm.

Der Falkenflug
    GED ERWACHTE und blieb eine Weile liegen, ohne sich zu regen. Er genoß es, überhaupt wieder zu erwachen, und er genoß das Licht, das ihn umgab, das helle, gewöhnliche Licht des Tages. Irgendwie hatte er das Gefühl, als schwebe er auf diesem Licht oder treibe in einem Boot auf stillen Gewässern. Endlich aber merkte er, daß er in einem Bett lag. Allerdings war es ein Bett, das ihm völlig fremd und ungewohnt war. Es lag auf einem Rahmen, der auf vier hohen geschnitzten Beinen stand. Die seidenen Matratzen waren mit Daunen gefüllt, daher rührte wohl das Gefühl des Schwebens, und über allem breitete sich ein karminroter Baldachin, wohl um den Luftzug abzuhalten. Zu beiden Seiten des Bettes waren die Vorhänge zurückgebunden. Ged sah einen Raum, dessen Wände und Boden aus Stein waren. Durch drei hohe Fenster sah er das kahle braune Moor, stellenweise schneebedeckt, im gedämpften Licht der Wintersonne liegen. Hoch mußte dieses Zimmer liegen, denn weit konnte er das Land überblicken.
    Eine damastbezogene Daunendecke rutschte hinunter, als Ged sich aufsetzte und das fürstliche Gewand aus silberschimmernder Seide wahrnahm, das man ihm angezogen hatte. Auf einem Stuhl neben dem Bett lagen Stiefel aus feinem Handschuhleder und ein mit Pellawipelz gefütterter Umhang. Eine Weile blieb er regungslos sitzen. Er fühlte sich benommen, als wäre er in einem Bann gefangen. Dann stand er auf und langte nach seinem Stab, aber er hatte keinen Stab mehr.
    Seine rechte Hand, obwohl man sie mit Salbe bestrichen und verbunden hatte, war an der Innenfläche und an den Fingern verbrannt. Jetzt spürte er den Schmerz, und als er sich bewegte, kam ihm sein Körper wie gerädert vor.
    Er erhob sich und stand wiederum regungslos. Dann flüsterte er leise, und wenig Hoffnung lag in seiner Stimme: »Hög … Hög …« Aber auch das eigenwillige und treue kleine Geschöpf war verschwunden, das schweigende Seelchen, das ihn damals aus dem Reich des Todes zurück ins Leben geführt hatte. War es noch bei ihm gewesen, als er gestern nacht geflohen war? Er wußte es nicht. Verschwommen und dunkel nur konnte er sich an das Gebbeth, den flammenden Stab, das Rennen, das Flüstern und das Tor erinnern. Er versuchte, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, aber es blieb verschwommen. Noch einmal flüsterte er den Namen seines Gefährten, aber er wußte, daß er keine Antwort darauf bekäme. Tränen traten ihm in die Augen.
    In der Ferne läutete eine Glocke. Eine zweite Glocke vor seiner Tür antwortete mit melodischem Geläut. Hinter ihm, am anderen Ende des Zimmers, öffnete sich eine Tür, und eine Frau trat ein: »Willkommen, Sperber«, sagte sie lächelnd.
    Sie war jung, groß und schlank, in Weiß und Silber gekleidet, und ein Silbernetz hielt ihr Haar, das ihr wie eine schwarze Kaskade über die Schultern fiel, oben zusammen.
    Ged verbeugte

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