Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
sich ginge, ihn lenke und aus seinen Augen Ged von der Seite her musterte. Aber gleich darauf sah Ged ihn wieder von vorn, und er sah genauso aus, wie er immer ausgesehen hatte, so daß Ged glaubte, seine eigene Furcht und sein eigenes Grauen in den Augen des anderen gesehen zu haben. Aber in der folgenden Nacht träumte Ged wieder, und Skihor kam in diesen Träumen vor. Von nun an versuchte er, Skihor zu meiden, und es schien, als ob der sich um das gleiche bemühte. Es kam zu keinem Wortwechsel mehr zwischen ihnen.
Die schneebedeckten, im Nebel des frühen Winters leicht verschwommenen Berge von Havnor versanken am südlichen Himmel hinter ihnen. Sie ruderten an der Mündung der Éasee vorbei, dort, wo vor vielen, vielen Jahren Elfarran ertrunken war, und sie passierten die enladische Inselgruppe. Zwei Tage verbrachten sie in Berila, der Elfenbeinstadt, die sich im Westen der sagenumwobenen Insel Enlad weißschimmernd über die Bucht erhebt. Die Mannschaft durfte in keinem der Häfen, an denen sie anlegten, an Land gehen. Als sich die rote Morgensonne erhob, ruderten sie hinaus auf das osskilische Meer gegen die Nordwinde, die, von keiner Insel behindert, ungestüm aus der endlosen Weite des Nordbereiches blasen. Aber sie brachten ihre Fracht unbeschädigt durch die stürmische See, und sie erreichten zwei Tage, nachdem sie Berila verlassen hatten, den Hafen von Neschun, der Handelsstadt von Ostosskil.
Ein starker Wind trieb den kalten Regen über flaches Küstenland. Eine graue Stadt drängte sich hinter der niedrigen, aus Steinen gebauten Hafenmauer, und dahinter erhoben sich kahle, baumlose Berge unter schneebeladenen dunklen Wolken. Die Sonne des Innenmeeres lag weit hinter ihnen.
Die Hafenarbeiter der Schiffszunft von Neschun kamen an Bord, um die Ladung zu löschen. Sie bestand aus Gold, Silber, Geschmeide, wertvollen Seidenstoffen und Wandteppichen aus dem Süden, Dingen, die von den Fürsten auf Osskil gehortet werden. Die Freien unter der Mannschaft wurden entlassen. Ged hielt einen von ihnen an und fragte ihn nach dem Weg. Sein Mißtrauen gegenüber der Mannschaft war so groß gewesen, daß er bis jetzt noch keinem erzählt hatte, wo er hinwolle, aber jetzt, allein und auf fremdem Boden stehend, mußte er doch um Auskunft bitten. Der Mann aber zuckte nur ungeduldig die Achseln und sagte, ohne anzuhalten, daß er ihm nicht helfen könne, aber Skihor, der Geds Frage mitgehört hatte, antwortete: »Der Hof von Terrenon? Der liegt am Keksemtmoor, ich gehe auch in dieser Richtung.«
Skihor wäre der letzte gewesen, den Ged als Gefährten gewählt hätte, aber da er weder der Sprache noch des Weges kundig war, blieb Ged keine andere Wahl, als mit ihm zu gehen. Im Grunde ist es ja auch einerlei, dachte er, denn es war nicht sein Entschluß gewesen, hierherzukommen. Etwas hatte ihn hierhergetrieben und trieb ihn nun weiter. Er zog die Kapuze über den Kopf, griff nach Stab und Bündel und folgte dem Mann von Osskil durch die Straßen der Stadt hinauf zu den schneebedeckten Hügeln. Der kleine Otak hockte nicht auf seiner Schulter, sondern hatte sich in die Tasche seines Schafspelzwamses unter seinem Umhang verkrochen, was er immer tat, wenn es kalt war. Die Hügel verloren sich in dem düster und dunkel verhangenen Moor, das sich vor ihnen erstreckte, so weit das Auge reichte. Schweigend gingen sie den Pfad entlang, und schweigend lag das Land unter dem winterlichen Himmel.
»Wie weit ist es noch?« fragte Ged, nachdem sie einige Meilen zurückgelegt hatten, ohne ein Dorf oder ein Bauernhaus zu erblicken. Er war besorgt, denn sie hatten keine Nahrung bei sich. Skihor, der die Kapuze ebenfalls über den Kopf gezogen hatte, drehte sich kurz um und sagte: »Nicht weit.« Sein Gesicht war bleich und abstoßend häßlich, mit groben, rohen Zügen, aber Ged fürchtete sich vor keinem Menschen, höchstens vor dem Ort, an den ihn ein solcher Mensch führen würde. Er nickte, und sie gingen weiter. Der Weg war wie eine Narbe in der dünnen Schneedecke zwischen den kahlen Büschen dieser Öde. Ab und zu sah man Spuren im Schnee, die den Pfad überquerten oder zur Seite abbogen. Da der aus den Schornsteinen von Neschun aufsteigende Rauch von den Hügeln verdeckt wurde, die im späten Licht des Nachmittags hinter ihnen verschwammen, gab es keinen Anhaltspunkt mehr, wohin der Weg führte und woher sie gekommen waren. Nur der Wind blies ständig aus Osten. Als sie mehrere Stunden gewandert waren, glaubte Ged, weit in der
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