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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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sich steif.
    »Ich glaube, Sie erinnern sich nicht mehr an mich.«
    »Ich … sollte mich an Sie erinnern?« Nur einmal in seinem Leben war ihm eine ähnlich schöne Frau in ebenso kostbaren Gewändern begegnet: Die Herrin von O, die mit ihrem Gemahl zum Fest der Sonnenwende nach Rok gekommen und die ihm damals wie eine zarte, helle Kerzenflamme erschienen war; die Frau vor ihm war genauso schön, doch glich sie eher dem weißschimmernden Neumond.
    »Ich habe mir gedacht, daß Sie sich nicht mehr an mich erinnern«, sagte sie lächelnd. »Aber das macht nichts. Obwohl Sie vergeßlich sind, heiße ich Sie als einen alten Freund willkommen.«
    »Wo bin ich denn?« fragte Ged, der noch immer steif dastand und dem das Sprechen schwerfiel. Es war nicht so einfach, sie anzusprechen und den Blick wieder von ihr abzuwenden. Die fürstlichen Kleider, die er trug, waren ihm auch fremd, der Steinboden, auf dem er stand, war ihm ungewohnt, die ganze Atmosphäre hier war andersartig. Er war nicht sein altes Selbst, jedenfalls nicht derselbe, der er gewesen war.
    »Diese Feste ist der Hof von Terrenon. Mein Gemahl, Fürst Benderesk, herrscht über dieses Land, vom Keksemtmoor bis zu den Bergen von Os im Norden. Er ist der Besitzer des wertvollen Steines, der Terrenon genannt wird. Mich nennt man Serret hier, das ist osskilisch und heißt Silber; und ich weiß, daß man Sie manchmal Sperber nennt und daß Sie auf der Insel der Weisen zum Zauberer gemacht wurden.«
    Ged blickte auf seine verbrannte Hand und sagte nach einer Weile: »Ich weiß nicht, wer ich bin. Früher hatte ich Macht. Jetzt aber, glaube ich, habe ich sie verloren.«
    »Keineswegs! Sie haben sie nicht verloren, es sei denn nur, um sie in zehnfacher Stärke wiederzugewinnen. Hier, mein Freund, sind Sie sicher vor dem, was Sie hierhergetrieben hat. Die Mauern dieser Feste sind gar mächtig, und nicht alle bestehen nur aus Stein. Hier können Sie sich erholen und Kraft schöpfen. Hier, wenn Sie wollen, können Sie eine andere Stärke erwerben und einen Stab, der nicht zu Asche zerfällt in Ihrer Hand. Manchmal nimmt das Böse auch ein gutes Ende. Aber kommen Sie jetzt mit mir, ich zeige Ihnen unseren Besitz.«
    So lieblich war ihre Stimme, daß Ged kaum auf ihre Worte hörte, sondern allein von ihrem betörenden Klang angezogen wurde und ihr folgte.
    Wie er vermutet hatte, lag sein Zimmer hoch in dem Turm, der sich wie ein scharfer Zahn auf dem Hügel erhob. Er folgte Serret die marmorne Wendeltreppe hinab, durch reich ausgestattete Säle und Räume hindurch, an hohen Fenstern vorbei, die südlich, östlich, nördlich und westlich den Blick freigaben über niedrige braune Hügel, die sich in monotoner Gleichförmigkeit, ohne Haus und Baum, in weiter Ferne unter dem klaren, sonnigen Winterhimmel verloren. Nur im Norden sah man winzige weiße Gipfel am blauen Horizont, und weit im Süden lag unsichtbar das schimmernde Meer.
    Bedienstete öffneten die Türen und traten zurück, um Ged und die Fürstin eintreten zu lassen. Es waren bleiche, griesgrämig aussehende Osskilianer. Auch Serret hatte eine helle Haut, doch im Gegensatz zu ihnen sprach sie fließend Hardisch, es schien Ged sogar, als habe sie manchmal den Akzent von Gont. Später am gleichen Tag führte sie ihn vor ihren Gemahl, Fürst Benderesk von Terrenon. Dieser war mindestens dreimal so alt wie seine Frau, knochendürr und knochenweiß. Er begrüßte Ged mit kalter, formeller Höflichkeit und schaute ihn durch halbgeschlossene Lider prüfend an. Er lud ihn ein, sein Gast zu sein, solange es ihm gefalle. Mehr sprach er nicht. Er fragte Ged weder über seine Reise aus noch über den Feind, der ihn hierhergejagt hatte. Auch die Fürstin Serret berührte diese Dinge nicht.
    Dies war seltsam genug, doch verglichen mit der Fremdheit dieses ganzen Hofes, war es nicht erstaunlich. Geds Sinne waren immer irgendwie umnebelt, er konnte die Dinge um sich herum nicht klar erkennen. Der Zufall schien ihn in diese Turmfeste geführt zu haben, doch dieser Zufall schien geplant, oder es war ein Plan, der ihn hierhergelockt hatte, und doch hatte auch hier der Zufall seine Hand im Spiel gehabt. Er hatte sich nach Norden gewandt, ein Fremder in Orrimy hatte ihn hierhergeschickt, um Hilfe in seinem Kampf gegen den Schatten zu finden; ein osskilisches Schiff hatte auf ihn gewartet; Skihor war sein Führer gewesen. Wieviel davon war das Werk des Schattens, der ihn verfolgte? Nichts davon? Wurden sie beide, er und der Schatten,

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