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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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hatte.
    »Einen sicheren Ort gibt es nicht«, sagte Ogion gütig. »Verwandle dich nicht mehr, Ged. Der Schatten ist darauf aus, dein wahres Wesen zu zerstören. Fast wäre es ihm gelungen, als er dich dazu brachte, Falkengestalt anzunehmen. Nein, wohin du dich wenden sollst, weiß ich nicht. Doch ich habe eine Ahnung, was du tun sollst. Es ist schwer, dir das zu sagen.«
    Geds Schweigen forderte zur Wahrheit auf, und Ogion sprach schließlich: »Du mußt umkehren.«
    »Umkehren?«
    »Wenn du weiter vorwärtsgehst, wenn du weiter fliegst, dann werden, wohin du dich auch wendest, Gefahr und Unheil auf dich warten, denn der Schatten treibt dich, er wählt den Weg, den du beschreitest. Du mußt den Jäger jagen.«
    Ged schwieg.
    »An der Quelle des Ar gab ich dir deinen Namen«, sagte der Magier, »an einem Fluß, der vom Berg herunter ins Meer fließt. Ein Mann sollte das Ziel kennen, dem er entgegengeht, das aber kann er nur, wenn er umkehrt und zurückgeht zum Anfang und diesen Anfang in seinem Wesen festhält. Wenn er nicht wie ein Ast sein will, der vom Strom gedreht und gewirbelt wird, dann muß er selbst zum Strom werden, und zwar zum ganzen Strom, von der Quelle bis zur Mündung ins Meer. Nach Gont kamst du zurück, zu mir kamst du zurück, Ged. Jetzt wende dich weiter um und kehre zurück zum Ursprung und suche, was vor dem Ursprung liegen mag. Dort nur kannst du hoffen, Stärke zu finden.«
    »Dort, Meister?« fragte Ged, und seine Stimme bebte vor Furcht. »Wo?«
    Ogion antwortete nicht.
    »Wenn ich umkehre«, sagte Ged nach einer Weile, »wenn ich, wie Sie mir raten, den Jäger jage, dann, glaube ich, wird die Jagd nicht lange dauern. Sein ganzes Trachten ist ja nur, mich dazu zu bringen, daß ich mich ihm stelle. Zweimal gelang es ihm, und zweimal habe ich verloren.«
    »Auf aller Dinge Drittem liegt magisches Gelingen«, sagte Ogion.
    Ged ging ruhelos auf und ab, vom Herd zur Tür, von der Tür zum Herd. »Und wenn es mich ganz besiegt«, hielt er Ogion oder sich selbst vor, »dann nimmt es meine ganze Macht, mein ganzes Wissen und wird davon Gebrauch machen. Jetzt droht es nur mir. Aber wenn es in mich dringt und mich besitzt, dann wird es durch mich großes Unheil anrichten.«
    »Das stimmt. Wenn es dich besiegt.«
    »Doch wenn ich jetzt wieder davonlaufe, dann wird es mich ganz sicherlich wieder finden … und ich verschwende meine ganze Kraft aufs Davonlaufen.« Ged ging noch eine Weile im Zimmer auf und ab, dann wandte er sich plötzlich um, und während er vor dem Magier niederkniete, sagte er: »Große Zauberer habe ich kennengelernt, auf der Insel der Weisen habe ich geweilt. Sie aber, Ogion, sind mein wahrer Meister.« So sprach er, und Liebe und eine tiefe, ernste Freude lag in seinen Worten.
    »Gut«, sagte Ogion, »jetzt weißt du es. Besser jetzt als niemals. Aber am Ende wirst du mein Meister werden.« Er stand auf und schürte das Feuer, bis es hell aufglühte, und hängte den Kessel über die Flammen, damit das Wasser koche. Dann zog er seinen Schafspelz über und sagte: »Ich muß nach meinen Ziegen schauen. Paß auf den Kessel auf, Junge!«
    Als er zurückkam, bestäubt mit Schnee, und seine Stiefel aus Ziegenleder vom Schnee freistampfte, hielt er in seiner Hand einen langen, rauhen Stab aus Eibenholz. Den Rest des kurzen Nachmittags und nach dem Abendessen saß er beim Licht der Lampe und bearbeitete den Stab mit Messer und Bimsstein und mit Zauberworten. Wiederholt glitt seine Hand am Stab entlang und suchte nach Unebenheiten. Manchmal sang er leise vor sich hin. Ged, der noch immer erschöpft war, hörte zu, und als er schläfrig wurde, kam es ihm vor, als wäre er wieder ein Kind in der Hütte des Zauberweibes in Zehnellern. Draußen war alles verschneit, und drinnen brannte das Feuer in der Dunkelheit, die Luft war angefüllt vom Duft der Kräuter und von Rauch. Die Träume kamen und gingen, als er den langen Gesängen von Zaubereien und den Taten der Helden zuhörte, die gegen dunkle Mächte kämpften und gewannen oder verloren, auf fernen Inseln vor unendlich langen Zeiten.
    »Nimm«, sagte Ogion und reichte ihm den fertigen Stab. »Der Erzmagier gab dir Eibenholz, das war eine gute Wahl, und ich blieb dabei. Aus dem Stab wollte ich erst einen Bogen machen, aber nun fand er bessere Verwendung. Schlaf gut, mein Sohn.«
    Als Ged, der keine Worte fand, um ihm zu danken, sich abwandte und in sein Schlafgemach ging, sah Ogion ihm nach und sagte so leise, daß Ged ihn nicht hören

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