Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
konnte: »Oh, mein junger Falke, fliege wohl!«
    Im kalten Morgengrauen, als Ogion aufwachte, war Ged bereits verschwunden. In echt zauberischer Weise hatte er einige silberne Runen auf dem Stein beim Herd hinterlassen. Sie verblaßten, noch während Ogion sie las: »Meister, ich gehe auf die Jagd.«

Die Jagd
    GED VERLIESS RE ALBI vor Sonnenaufgang, als die dunkle Winternacht noch über dem Land lag, und schlug den Weg ein, der hinunter zur Hafenstadt Gont führte, die er noch vor Mittag erreichte. Ogion hatte ihn mit praktischer gontischer Kleidung versehen, Gamaschen, Hemd und Weste aus Leder und Leinen, die er anstelle des osskilischen Seidenzeugs trug, aber den mit Pellawipelz gefütterten fürstlichen Umhang hatte er auf seine Winterreise mitgenommen. So bekleidet und mit leeren Händen – denn außer seinem dunklen Stab, der so groß war wie er selbst, führte er nichts mit sich – näherte er sich dem Landtor von Gont. Die Soldaten, die sich an die geschnitzten Drachen lehnten, erkannten ihn sofort als einen Zauberer und zogen ihre Lanzen zurück. Sie ließen ihn ungefragt eintreten und blickten ihm nach, als er die Straße von Gont hinunterschritt.
    An den Piers und bei der Seezunft erkundigte er sich nach Schiffen, die nördlich oder westlich nach Enlad, Andrad oder Oranéa fuhren. Überall wurde ihm das gleiche mitgeteilt: Kein Schiff verließ jetzt, so nahe der Wintersonnenwende, den Hafen von Gont, und bei der Seezunft sagte man ihm, daß selbst Fischkutter bei diesem unbeständigen Wetter nicht durch die Festungsklippen hinaus aufs offene Meer führen.
    In der Kantine der Seezunft lud man ihn zum Essen ein. Ein Zauberer muß selten um eine Mahlzeit bitten. Er setzte sich zu den Hafenarbeitern, Werftarbeitern und Wettermachern und hörte mit Vergnügen zu, wie sie sich bedächtig in langsam rollendem Gontisch miteinander unterhielten. Er fühlte ein großes Verlangen, hier auf Gont zu verweilen, alle Zauberei und Abenteuerlust an den Nagel zu hängen, seine Macht und all das Schreckliche zu vergessen und friedlich, wie andere Männer, hier auf dem Boden seiner geliebten Heimat zu leben. Das war sein Wunsch, sein Wille gebot ihm anders. Er hielt sich nicht lange im Haus der Seezunft und in der Stadt Gont auf, nachdem er herausgefunden hatte, daß keine Schiffe den Hafen in absehbarer Zeit verlassen würden. Sich nördlich haltend, folgte er dem Ufer der Bucht, bis er ins erste der kleinen Fischerdörfer kam, die sich der Küste entlang erstreckten. Er fragte herum, bis er einen Fischer fand, der ein Boot zu verkaufen hatte.
    Er war ein mürrischer alter Mann. Sein Boot, das ungefähr drei Meter lang und in Klinkerbauweise gezimmert war, sah ganz verzogen aus und leckte, so daß es kaum als seetüchtig betrachtet werden konnte. Trotzdem wollte der Alte einen hohen Preis dafür: einen Bann, der sein eigenes Boot, ihn selbst und seinen Sohn ein Jahr lang gegen alle Unbill des Meeres feite, denn die Fischer hier fürchten nichts so sehr wie die Tücken des Meeres.
    Dieser gegen Stürme feiende Bann, auf den sie im nördlichen Inselreich so großen Wert legen, hat noch keinen Menschen vor Wind und Wellen des Sturmes gerettet, aber wenn er von einem Zauberer gewoben wird, der das Meer in der Gegend kennt und der über das Boot und die Geschicklichkeit des Schiffers Bescheid weiß, dann gewährt der Bann einen täglichen Schutz. Ged wirkte ihn sorgfältig und gewissenhaft, er arbeitete die ganze Nacht und den folgenden Tag daran, nichts ließ er aus, geduldig und sicher wob er ihn, obwohl seine von Furcht beschwerten Gedanken dunklen Pfaden folgten und ihm keine Ruhe ließen. Wiederholt versuchte er sich vorzustellen, welche Gestalt der Schatten jetzt angenommen haben mochte und wann und wo er auf ihn treffen würde. Als der Bann fertig und geschlossen war, fühlte sich Ged erschöpft. Die kommende Nacht schlief er in einer Hängematte aus Walfischdärmen und roch am nächsten Morgen wie ein getrockneter Hering. Er ging hinunter in die Bucht unterhalb des Katnordkliffs, wo sein neues Boot lag.
    Er schob das Boot ins ruhige Wasser des seichten Ufers, und sofort stieg das Wasser im Innern des Bootes höher. Wie eine Katze, so leicht sprang Ged ins Boot, zog die verzogenen Planken gerade und erneuerte die verfaulten Holznägel. Er arbeitete mit Werkzeug und Zauberformel, wie er es damals bei Peckvarry in Untertorning getan hatte. Die Bewohner des Dorfes sammelten sich um ihn, nicht zu nahe, schauten schweigend

Weitere Kostenlose Bücher