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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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der Dämmerung hinter ihnen erhob. Aus den schmalen Mauerluken am Fundament krochen schwarze Geschöpfe und schüttelten die langen Fittiche. Wuchtig mit den Flügeln schlagend, erhoben sie sich in die Luft, kreisten über den Wällen und segelten auf Ged und Serret zu, die ungeschützt am Hang standen. Das hohle Wimmern, das sie in der Feste gehört hatten, war lauter geworden, war angeschwollen zu einem Beben und Seufzen der Erde, auf der sie standen.
    In Ged stieg Wut hoch. Ein unbändiger Zorn packte ihn gegen das grausame, tödliche Getier, das ihn verführte, verfolgte und in Fallen lockte. »Verwandeln Sie sich!« Serret schrie es ihm laut zu und haspelte selbst schnell eine Verwandlungsformel herunter: Sie erhob sich als eine graue Möwe und flog davon. Ged aber beugte sich zur Erde und riß einen Halm des wilden Grases aus, der trocken und zart aus dem Schnee ragte, dort, wo der tote Otak gelegen hatte. Diesen Halm hob er in die Höhe, und als er in der Ursprache zu ihm redete, wurde er immer länger und stärker. Als er geendet hatte, hielt er einen langen Stab, einen Zauberstab, in seiner Hand. Kein heiß loderndes rotes Feuer flakkerte an diesem Stab entlang, als Ged auf das flügelschlagende schwarze Getier vom Hof des Terrenon einschlug, das auf ihn niederstieß: Weiß brannte dieser Stab in kaltem magischem Feuer, das nicht verbrennt, sondern das Dunkle vertreibt.
    Das Getier setzte von neuem zum Angriff an: mißlungene Geschöpfe, aus einer Zeit stammend, die vor den Drachen, Vögeln und Menschen lag, vom Tageslicht längst vergessen, doch nicht von der uralten, arglistigen, boshaften, allwissenden Macht im Stein. Sie drangen auf Ged ein, stießen auf ihn herab. Er fühlte ihre Krallen wie Sensen über seinem Kopf, und Übelkeit stieg in ihm hoch von ihrem Aasgestank. Grimmig parierte er ihre Stöße und schlug auf sie ein mit seinem erschreckenden Stab, der aus Zorn und einem Grashalm gewachsen war. Wie Raben, die von sich regendem Aas erschreckt wurden, stoben sie plötzlich in die Höhe und wandten sich flügelschlagend in die Richtung, die Serret in der Gestalt der Möwe eingeschlagen hatte. Ihre Riesenflügel schienen sich gemächlich zu bewegen, doch das täuschte, mit jedem Schlag ihrer mächtigen Schwingen schossen sie gewaltig vorwärts. Keine Möwe konnte bei dieser Schnelligkeit mithalten.
    So schnell wie damals auf Rok nahm Ged die Gestalt eines mächtigen Falken an. Nicht den Sperber wählte er, dessen Namen er trug, sondern den Wanderfalken, der wie ein Pfeil, wie ein Gedanke dahinschießen kann. Mit gespreizten, scharfen und starken Schwingen flog er davon, die Verfolgenden verfolgend. Der Himmel verdunkelte sich, und Sterne funkelten zwischen den Wolken. Vor sich sah er den mißlichen schwarzen Haufen herunterstoßen auf einen Punkt in der Luft. Jenseits des schwarzen Flecks sah er das Meer fahl im aschgrauen Licht des Tages liegen. Blitzschnell und pfeilgerade stieß der Falke Ged auf das Getier des Steins zu, und es zerstob wie Wassertropfen von einem geworfenen Stein. Doch es hatte schon seine Beute erreicht: Blutig war der scharfe Schnabel des einen, und weißgraue Federn waren in den Klauen eines anderen. Keine Möwe war mehr zu sehen, die schwerelos Bahnen über der See zog.
    Die Untiere wandten sich gegen Ged. Schnell und unförmig kamen sie auf ihn zu, die scharfen Schnäbel geöffnet. Er aber schwang sich in Spiralen in die Höhe und stieß den wilden Kampfschrei des Falken aus, dann schoß er über den flachen Strand von Osskil, über die Brandung des Meeres davon.
    Das Getier vom Stein kreiste noch eine Weile krächzend umher, dann flog eins nach dem andern unbeholfen zurück über das Land. Die Urmächte überqueren nämlich keine Meere, sie sind an einen bestimmten Ort, eine Insel, Höhle, einen Stein oder sprudelnden Quell gebunden. Die schwarzen Mißgeburten flogen zurück zur Turmfeste, wo Benderesk, der Fürst des Terrenon, auf sie wartete. Vielleicht vergoß er Tränen bei ihrer Rückkehr, vielleicht lachte er auch. Ged flog weiter, falkenbeschwingt, falkenberauscht, wie ein Pfeil, der nicht hinunterfällt, wie ein Gedanke, der nicht vergessen werden kann. Er flog über das Meer von Osskil, immer weiter nach Osten, dem Wind des Winters und der Nacht entgegen.
    Ogion der Schweigsame war spät im Jahr von seinen Herbstwanderungen nach Re Albi zurückgekehrt. Noch schweigsamer, noch einsamer war er in den vergangenen Jahren geworden. Dem neuen Fürsten, der in der Stadt

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