Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
unten wohnte, war es nicht gelungen, auch nur ein einziges Wort aus Ogion herauszubekommen, obgleich er bis zu dessen Falkennest hinaufgeklettert war, um ihn um Hilfe in einer Piraterei gegen die Andraden zu ersuchen. Ogion, der mit den Spinnen in ihren Netzen sprach, den man beobachten konnte, wie er die Bäume höflich grüßte, sprach kein einziges Wort mit dem Fürsten der Insel und ließ ihn unzufrieden zurückkehren. Vielleicht bedrückten Sorgen und Kummer sein Gemüt, denn Ogion verbrachte den ganzen Sommer bis spät in den Herbst hinein allein hoch oben in den Bergen; erst jetzt, zur Wintersonnenwende, kehrte er zum eigenen Herd zurück. Am Morgen nach seiner Rückkehr stand er spät auf und ging zur Quelle unterhalb seines Hauses, um Wasser für eine Tasse Kräutertee zu holen. Eine dünne Eisschicht bedeckte die Ränder des kleinen munteren Quells, und das zarte Moos zwischen den Felsen war eine Spitze aus Eisblumen. Der Tag war schon voll angebrochen, und doch würde es noch eine Stunde dauern, bis die Sonne sich über den mächtigen Berggipfel erhob. Auf dem gesamten westlichen Gont, vom Strand bis hinauf zum Gipfel, lag keine Sonne; schweigend und klar umrissen lag das Land im morgendlichen Licht des Winters vor ihm. Als der Magier an der Quelle stand und den Blick über das sich neigende Land, den Hafen und die graue Ferne des Meeres schweifen ließ, hörte er Flügelschlag über seinem Haupt. Er blickte auf und hob den Arm etwas in die Höhe. Ein mächtiger Falke, laut mit den Flügeln schlagend, stieß herunter und ließ sich auf seinem Handgelenk nieder. Dort klammerte er sich fest wie ein abgerichteter Edelfalke, doch trug er keine zerrissene Kette, keinen Reif, keine Glocke. Die Klauen preßten sich tiefer in Ogions Gelenk; die Federn der Flügel zitterten, das runde goldene Auge blickte stumpf und wild.
»Bist du ein Bote oder eine Botschaft?« fragte Ogion den Falken behutsam. »Komm mit mir …« Als er zu ihm redete, schaute ihn der Falke an. Ogion stand einen Augenblick da, ohne zu reden. »Ich glaube, ich gab dir einst deinen Namen«, sagte er, schritt auf sein Haus zu und trat ein, den Vogel auf seinem Handgelenk mit sich tragend. Er setzte ihn in der Nähe des Herdes, in der Wärme des Feuers ab und bot ihm Wasser zum Trinken an. Doch der Vogel wollte nicht trinken. Dann begann Ogion, ganz behutsam, eine magische Formel zu wirken. Er wob sie mehr mit den Händen als mit Worten, und als der Bann geschlossen und gewoben war, sagte er sanft »Ged …«, ohne den Falken beim Feuer anzuschauen. Er wartete eine Weile, dann wandte er sich um, stand auf und ging auf den jungen Mann zu, der zitternd und stumpf blickend vor dem Feuer stand.
Ged war in kostbare, fremdartige Gewänder gehüllt, in Pelz, Seide und Silber, doch die Kleider waren zerrissen und steif vom Salz des Meeres. Er stand hager und gekrümmt da; das strähnige Haar umgab das vernarbte Gesicht.
Ogion nahm ihm den königlichen Umhang von den Schultern und führte ihn in das kleine Gemach, in dem er als Lehrling geschlafen hatte; dort legte er ihn auf das Bett, und leise einen Schlafzauber murmelnd, verließ er ihn. Kein Wort hatte er zu ihm gesprochen, denn er wußte, daß er jetzt keine menschliche Sprache besaß.
Als er ein Junge war, hatte Ogion wie alle Jungen geglaubt, daß es großartig sei, sich durch die Kunst der Magie in jede Gestalt zu verwandeln, die einem gerade einfiel, Mensch, Tier, Baum oder Wolke, und ein Spiel der tausend Verwandlungen zu treiben. Aber als Zauberer kannte er den Preis dieses Spieles, nämlich die Gefahr, sich selbst zu verlieren, die Wahrheit zu verspielen. Je länger ein Mensch in einer anderen Gestalt bleibt, desto größer wird diese Gefahr. Jeder Zauberlehrling lernt die Geschichte des Zauberers Bordscher von Weg, dem es so großen Spaß gemacht hatte, sich in einen Bären zu verwandeln, daß er dies immer häufiger tat, bis der Bär in ihm so mächtig wurde, daß der Mensch in ihm abstarb. Als Bär im Wald tötete er seinen eigenen kleinen Sohn und wurde gejagt und schließlich erlegt. Und niemand weiß, wie viele Delphine, die sich im Innenmeer tummeln, einst weise Männer waren, die Weisheit und Namen über dem Spiel im ruhelosen Meer vergaßen.
Ged schlüpfte in die Falkengestalt in letzter Not und in rasendem Zorn, und als er Osskil verließ, trieb ihn ein einziger Gedanke: dem Stein und Schatten zu entfliehen, die kalte, unheilvolle Gegend hinter sich zu lassen, den Weg nach Hause
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