Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
auf seine flinken Hände und hörten seiner ruhigen Stimme zu. Auch diese Arbeit verrichtete er sorgfältig und gewissenhaft, bis alles fertig war und das Boot abgedichtet und fahrbereit auf dem Wasser lag. Dann setzte er den Stab, den Ogion für ihn gemacht hatte, als Mast und festigte ihn mit Zauberformeln. Quer dazu brachte er eine kräftige meterlange Holzstange an, von der aus er auf dem Webrahmen des Windes ein viereckiges Segel wob, das so weiß wie der Schnee auf dem Gipfel von Gont war. Die zuschauenden Frauen seufzten vor Neid. Dann stellte er sich neben den Mast und zauberte einen leichten magischen Wind herbei. Das Boot bewegte sich hinaus aufs Meer und hielt auf die beiden Festungsklippen am Ende der großen Bucht zu. Als die Fischer, die Ged schweigend bei der Arbeit zugeschaut hatten, das Boot so sicher und geschwind dahingleiten sahen wie einen Strandvogel auf seinen Schwingen, klatschten sie stürmisch Beifall, lachten und stampften mit den Beinen im kalten Wind, der über den Strand blies. Ged blickte kurz zurück und sah, wie sie ihm unter dem dunklen, vorspringenden Katnordkliff zuwinkten, über dem sich die Schneefelder des Berges hoch in die Wolken erstreckten.
Er segelte über die Bucht, durch die Festungsklippen, hinaus aufs gontische Meer. Er schlug einen nordwestlichen Kurs ein, der ihn an Oranéa vorbeiführte und zum Ausgangspunkt seiner letzten Reise zurückführte. Er folgte keinem Plan, er hatte kein festes Ziel, es sei denn, den Weg wiederzufinden, der ihn hierhergeführt hatte. Wenn er seinen Falkenflug von Osskil zurückverfolgte, mußte er auf den Schatten stoßen, entweder direkt oder auf einem Umweg. Der Schatten konnte ihn, der so sichtbar übers offene Meer dahersegelte, nicht verpassen – außer er hatte sich wieder völlig ins Traumreich zurückgezogen.
Auf der offenen See wäre Ged ein Zusammentreffen am liebsten gewesen – wenn es schon dazu kommen mußte. Er war nicht sicher, warum er das vorzog, aber jedesmal, wenn er sich ein Zusammentreffen auf trokkenem Land vorstellte, erfaßte ihn ein noch größeres Grauen. Das Meer gebärt Stürme und Ungeheuer, aber keine bösen Mächte: Das Böse entspringt der Erde. Und in dem finsteren Land, das Ged einst betreten hatte, gab es weder einen See noch eilig fließende Flüsse oder sprudelnde Quellen. Trockenes Land verheißt den Tod. Obwohl das Meer in dieser stürmischen, bitteren Jahreszeit gefährlich war, betrachtete Ged diese Gefahren nicht als Drohung – den schnellen Wetterumschlag, die Unbeständigkeit, die Stürme –, sondern eher als einen Schutz. Und wenn er dann am Ende dieses ganzen unsinnigen Unternehmens mit dem Schatten zusammentreffen würde, dann, so malte Ged sich aus, würde er dieses Unding mit seinem Körpergewicht hinunter in die Finsternis des Meeres ziehen und dort mit dem Gewicht seines Todes für immer festhalten, damit es nie wieder emporsteigen könnte. Dann würde er wenigstens im Tod dem Bösen, das er freigesetzt hatte, ein Ende bereiten.
Ged segelte über das wilde, sturmbewegte Wasser unter tiefhängenden, treibenden Wolken, die wie riesige Trauerschleier aussahen. Er hatte keinen magischen Wind gerufen, sondern segelte mit dem Wind der Welt, der kräftig aus dem Nordosten blies. Solange er sein magisches Segeltuch aufrecht hielt – ein geflüstertes Wort ab und zu genügte –, mußte er sich nicht weiter ums Segeln kümmern: Das Segel wendete und drehte sich allein und fing den Wind auf. Hätte er keine Magie verwendet, so wäre ihm das Segeln in diesem störrischen kleinen Boot auf dieser stürmischen See schwergefallen. Immer weiter entfernte er sich von Gont, scharf spähte er nach allen Seiten aus. Die Frau des Fischers hatte ihm zwei Laibe Brot und einen Krug voll Wasser mitgegeben, und nach einigen Stunden Fahrt, als er Kameberfels sichtete, die einzige Insel zwischen Gont und Oranéa, aß und trank er und gedachte dankbar der schweigsamen Frau von Gont, die ihn mit Nahrung versorgt hatte. Ganz in der Ferne sah er Land liegen, aber er hielt nicht darauf zu, sondern kreuzte mehr in westlicher Richtung. Ein feiner, alles durchdringender Regen begann zu fallen, der über dem Land sicher als Schnee herunterkam. Außer dem Quietschen des Bootes und den Wellen, die an den Bug des Bootes klatschten, war kein Geräusch zu vernehmen. Kein anderes Schiff, keine Vögel waren zu sehen, nichts Lebendiges, nur das ewig ruhelose Meer und die fliehenden Wolken, an die er sich dunkel erinnerte,
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