Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan
getastet hatten, fühlten dort eine Öffnung. »Hier«, murmelte sie, aber er zögerte, als ob etwas in ihren Bewegungen Zweifel in ihm geweckt hätte.
»Nein«, murmelte sie verwirrt, »nicht diese hier, die nächste links. Ich weiß es nicht mehr. Ich schaffe es nicht. Kein Weg führt hier hinaus.«
»Wir gehen in den Bemalten Raum«, sagte die ruhige Stimme aus der Dunkelheit. »Wie gelangen wir dorthin?«
»Links nach dieser Öffnung.«
Sie führte ihn weiter. Sie gingen den langen Umweg, an zwei falschen Abzweigungen vorbei, und kamen in den Gang, der zum Bemalten Raum führte.
»Jetzt geradeaus«, sagte sie, und nun ging das Entwirren in der Dunkelheit schneller vor sich, denn diese Gänge, die zur eisernen Tür führten, waren ihr geläufig, schon hundertmal war sie hier gegangen; die seltsame Schwere, die auf ihr lag, konnte sie nicht durcheinanderbringen, solange sie nicht daran dachte. Aber die ganze Zeit kamen sie näher, näher zu dem, was so schwer auf ihr lag und sich an sie preßte; ihre Beine waren so müde, so schwer, daß sie ein- oder zweimal vor Schmerz wimmerte ob der Anstrengung, die es kostete, sie zu bewegen. Und der Mann neben ihr atmete tief und hielt den Atem an, immer wieder, wie jemand, dessen Körper einer furchtbaren Anstrengung ausgesetzt ist. Manchmal brach seine Stimme unterdrückt durch, mit einem Wort oder dem Fragment eines Wortes. So gelangten sie endlich an die eiserne Tür, und in plötzlichem Entsetzen streckte sie die Hand aus.
Die Tür war offen!
»Schnell«, sagte sie und zog ihren Gefährten durch. Auf der anderen Seite hielt sie an.
»Warum war sie offen?« fragte sie.
»Weil deine Gebieter deine Hände benötigen, um die Tür für sie zu schließen.«
»Jetzt kommen wir zum …« Ihre Stimme versagte.
»… zum Mittelpunkt der Dunkelheit. Ich weiß. Aber wir sind aus dem Labyrinth heraus. Welche Wege führen aus dem Untergrab hinaus?«
»Nur einer. Die Tür, durch die du gekommen bist, kann nicht von innen geöffnet werden. Der Weg hinaus führt durch das Untergrab und durch Gänge zu einer Falltür in einem Raum hinter der Thronhalle.«
»Dann müssen wir diesen Weg nehmen.«
»Aber sie ist dort«, flüsterte das Mädchen. »Dort im Untergrab; im Gewölbe; sie schaufelt im leeren Grab herum. Ich kann nicht – ich kann einfach nicht an ihr vorbeigehen!«
»Sie wird nicht mehr da sein.«
»Ich kann nicht dorthin gehen.«
»Tenar, ich halte in diesem Augenblick das Dach über unseren Köpfen hoch. Ich halte die Wände zurück, damit sie nicht auf uns stürzen. Ich halte den Boden unter unseren Füßen geschlossen. Das tue ich schon, seit wir den Schacht verlassen haben, wo ihr Diener auf uns gewartet hat. Wenn ich das Erdbeben im Zaum halten kann, fürchtest du dich, mit mir an einer menschlichen Seele vorbeizugehen? Vertraue mir, wie ich dir vertraut habe. Komm jetzt mit mir!«
Sie ging vorwärts.
Der endlose Gang wurde weiter. Das Gefühl, in einem großen Raum zu sein, überkam sie. Sie hatten das Gewölbe unter den Steinen betreten.
Sie tasteten sich an der Wand entlang. Tenar war nur ein paar Schritte weit gegangen, als sie stehenblieb. »Was ist das?« murmelte sie kaum hörbar. In der schwarzen, riesigen, toten Luftleere war ein Geräusch vernehmbar: ein Zittern, ein Beben, ein Laut, der vom Blut gehört, von den Knochen gespürt wurde. Die von der Zeit selbst gemeißelten Wände unter ihren Fingern pulsierten, dröhnten.
»Geh weiter«, die Stimme des Mannes klang brüchig, fast erstickt. »Beeil dich, Tenar!«
Als sie vorwärtsstolperte, flehte sie in ihrem Herzen, das so dunkel, so bebend wie das unterirdische Gewölbe selbst war: »Vergebt mir! Oh, meine Gebieter, oh, ihr Namenlosen, ihr Ewigen, vergebt mir, vergebt mir!«
Doch sie erhielt keine Antwort. Es gab keine Antwort. Noch nie hatte es eine Antwort gegeben.
Sie kamen zum Gang unter der Halle, kletterten die Stufen hinauf und erreichten die letzten Stufen unter der Falltür. Sie war geschlossen, so wie sie die Tür immer hinter sich zurückließ. Sie drückte die Feder, um sie zu öffnen. Sie öffnete sich nicht.
»Sie hat sich verklemmt«, sagte sie. »Sie geht nicht auf, ist verschlossen.«
Er kam herauf zu ihr und stemmte seinen Rücken gegen die Tür. Sie bewegte sich nicht.
»Sie ist nicht verschlossen, sondern etwas Schweres liegt darauf.«
»Kannst du sie aufbekommen?«
»Vielleicht. Ich nehme an, daß Kossil dort wartet. Hat sie Männer bei sich?«
»Duby und
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