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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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und sie prägten sich ihm ein; er atmete den süßlichen Geruch um sich ein und wußte, daß er sich aus Abfall, Duftkerzen, Aas und Blumen zusammensetzte. Als sie sich ihren Weg über eine breite Straße voller Menschen bahnten, hörte er eine Trommel und sah, ganz kurz, eine Reihe nackter Männer und Frauen, die an Händen und Hüften aneinandergekettet waren und deren Gesichter verfilzte Haare bedeckten. Er erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf sie, dann verschwand das Bild aus seinem Blickfeld, als sie, von Hase unbemerkt, diesem geschwind eine Treppe hinunterfolgten, die auf einen schmalen Platz mündete. Der Platz war verlassen bis auf einige Frauen, die am Brunnen miteinander schwatzten.
    Sperber holte Hase hier ein und legte ihm die Hand auf die Schulter. Hase zuckte zusammen und krümmte sich, als hätte er eine Verbrennung erlitten; er verzog sich in den Schutz einer wuchtigen steinernen Toreinfahrt. Hier blieb er zitternd stehen und schaute sie mit blicklosen, gehetzten Augen an.
    »Nennt man dich Hase?« fragte Sperber in seiner eigenen herben Stimme, doch der Tonfall war behutsam. Der Mann erwiderte nichts, er schien sie entweder nicht wahrzunehmen oder nicht zu verstehen. »Ich will etwas von dir«, sagte Sperber. Wieder erhielten sie keine Antwort. »Ich zahle dafür.«
    Langsam begann sich etwas in ihm zu regen. »Elfenbein oder Gold?«
    »Gold.«
    »Wieviel?«
    »Der Zauberer weiß, wieviel sein Zauberspruch wert ist.«
    Das Gesicht von Hase verzog sich, veränderte sich, belebte sich ganz kurz, dann kehrte der blicklose, stumpfe Ausdruck wieder zurück. »Das ist alles vorbei, alles vorbei.« Ein Hustenanfall überfiel ihn, schwarzer Schleim rann ihm aus dem Mundwinkel. Als er sich aufrichtete, stand er teilnahmslos da, er schien vergessen zu haben, worüber sie sprachen.
    Arren war wieder wie gebannt und blickte ihn aufmerksam an. Die Nische, in der er stand, war von zwei riesenhaften Figuren flankiert, Statuen, deren Nacken sich unter dem Gewicht eines Giebels beugten, und deren muskulöse Körper nur halb aus der Wand herausragten; es sah aus, als hätten sie sich aus dem Stein herausringen wollen, doch war ihnen dies nur halbwegs gelungen. Das Tor, das sie bewachten, hing schief in verrosteten Angeln. Das Haus, das früher ein Palast gewesen sein mußte, war verfallen. Die düsteren, gerundeten Gesichter der Riesen waren an manchen Stellen abgebröckelt und von Moos bewachsen. Zwischen diesen wuchtigen Figuren stand Hase, schlaff und zerbrechlich, mit Augen so dunkel wie die Fenster des leeren Hauses hinter ihm. Er hob seinen Armstumpf in die Höhe und wimmerte: »Eine kleine Gabe für einen Krüppel, Herr …«
    Der Magier runzelte die Stirn, vielleicht aus Schmerz, vielleicht aus Scham, und Arren glaubte, einen flüchtigen Augenblick lang sein wahres Gesicht wahrzunehmen. Er legte wieder seine Hand auf die Schulter von Hase und sprach leise in der Zaubersprache auf ihn ein, die Arren nicht verstand.
    Doch Hase verstand. Er ergriff Sperber mit seiner einen Hand, und ihn festhaltend stammelte er: »Du kannst noch sprechen … Komm mit mir, komm …!«
    Der Magier blickte auf Arren und nickte.
    Sie gingen die steilen Gassen hinunter und kamen in eines der schmalen Täler zwischen Horts drei Hügeln. Je weiter sie hinunterschritten, desto enger, dunkler und ruhiger wurde es. Der Himmel war kaum mehr zwischen den vorstehenden Dachgeschossen zu sehen, und die Hauswände waren feucht. Ganz unten in der Schlucht floß ein stinkendes Rinnsal. Zwischen geschwungenen Brücken drängten sich Häuser am Ufer entlang. Hase betrat den dunklen Eingang eines dieser Häuser und verschwand wie eine erloschene Kerze. Sie folgten ihm.
    Dunkle knarrende Stufen führten aufwärts, ein unbeleuchteter Gang folgte. Als sie angelangt waren, stieß Hase eine Tür auf, und sie konnten sehen, wo sie waren: ein leerer Raum lag vor ihnen, mit einer Strohmatratze in einer Ecke und einem unverglasten, mit einem Laden verschlossenen Fenster, durch das ein staubiger, schmaler Lichtstreif fiel.
    Hase blickte auf Sperber und griff wieder nach seinem Arm. Seine Lippen bewegten sich. Mühsam, mit großer Anstrengung, stammelte er: »Drachen … Drachen …«
    Sperber blickte ihn unverwandt an, ohne zu reden.
    »Ich kann nicht mehr sprechen«, sagte Hase. Er ließ Sperbers Arm los und kauerte sich auf den nackten Boden nieder.
    Der Magier kniete sich neben ihn und sprach leise in der Ursprache auf ihn ein. Arren stand an der

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