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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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wippenden Federkopfputz der Marktschreierin aufglitzern ließen. Diese war eher füllig und pries ihre Ware aus vollem Halse an: »Seide, Damast, Leinwand, Felle, Filz, Wollstoffe, Felldecken von Gont, Gaze von Soul, Seide von Lorbanery! Ihr Männer aus dem Norden dort, zieht eure Wintermäntel aus, merkt ihr denn nicht, daß die Sonne am Himmel steht? Wie wär’s mit diesem Stück feiner Seide? Ein passendes Geschenk für Mädchen in Havnor! Schaut her, Seide aus dem Süden, so zart wie ein Schmetterlingsflügel!« Geschickt, mit einem eleganten Schwung, hatte sie einen Ballen feiner rosa Seide, durchschossen mit Silberfäden, auf dem Ladentisch halb aufgeworfen, und hielt den Stoff hoch.
    »Nee, Frau, wir sind nicht mit Königinnen verheiratet«, sagte Falk, und die Stimme der Frau erhob sich schrill: »Sooo, was gebt ihr denn dann euren Frauen zum Anziehen? Rupfen? Leinwand? Geizkragen! Eure Frauen frieren dort oben im ewigen Schnee, und ihr könnt ihnen nicht mal ein bißchen Seide mitbringen! Aber wie wär’s damit? Eine Felldecke aus Gont, das hält warm in den Winternächten!« Sie warf ein großes, braun und hellbeige kariertes Viereck über die Ladentheke, das aus feinem Ziegenhaar gewebt war und von den nördlichen Inseln kam. Der angebliche Seemann streckte seine Hand danach aus und befühlte es. Er lächelte.
    »Oho, ihr seid aus Gont?« fragte die laute Stimme, und der Kopfputz bewegte sich und streute tausend kleine Pünktchen über die Stoffe und die Markisen.
    »Das hier kommt aus Andrad, schaut her! Nur vier Kettfäden auf einer Fingerbreite! In Gont nehmen sie sechs und noch mehr. Doch sagt, warum macht ihr keine Zauberkunststückchen mehr? Warum verkauft ihr jetzt Hökerwaren? Als ich’s letzte Mal hier war, s’ist schon ein paar Jahre her, da hab’ ich gesehn, wie ihr Feuer aus den Ohren von Männern gezogen habt, und dann habt ihr Vögel aus dem Feuer gemacht und goldene Glocken! Das war ein feineres Geschäft, als was ihr jetzt tut!«
    »Das war gar kein Geschäft«, sagte die dicke Frau, und Arren sah, ganz kurz nur, Augen, die so kalt und hart wie Achate blickten und ihn und Falk unter dem Funkeln und Glitzern des wippenden Federbüschels scharf musterten.
    »Das hat mir gefallen, das Feuer, das ihr aus den Ohren gezogen habt«, fuhr Falk unbeirrt in seiner langsamen, breiten Sprechweise fort. »Ich hab’s meinem Neffen zeigen wollen.«
    »Ach weißt du«, sagte die Frau, jetzt weniger laut, und sie legte ihre prallen, braunen Arme und ihre schwere Brust auf die Theke. »Wir hier machen solche Tricks nicht mehr. Die Leute wollen das nicht mehr sehen. Die haben das durchschaut. Da, schau dir meine Spiegel an – an die erinnerst du dich doch noch, nicht wahr?« – und sie warf ihren Kopf zurück, daß die bunten Flecke tanzten und ihre stämmige Gestalt umschwirrten. »Siehst du, Spiegelgefunkel genügt, damit kann man den Menschen den Kopf verdrehen, auch mit Worten und mit Tricks, wie, kann ich dir nicht verraten, bis die Menschen glauben, was sie meinen zu sehen, was sie aber in Wirklichkeit gar nicht sehen, weil es das gar nicht gibt! Wie das Feuer oder wie die goldenen Glocken oder wie die Kleider, mit denen ich die Schiffsleute herausstaffiert habe, goldene Anzüge mit Diamanten so groß wie Aprikosen, und sie sind darin fortstolziert wie der König aller Inseln … Das waren alles nur Tricks, nur Narrenzeug, weißt du. Menschen kann man leicht zum Narren halten. Die sind wie Hühner, die man mit einer Schlange oder mit einem Finger, den man ihnen vorhält, verhexen kann. Ja, ja, die Menschen sind wie Hühner! Aber dann finden sie doch irgendwann einmal heraus, daß sie zum Narren gehalten werden, und dann werden sie böse und wollen nichts mehr davon sehen. Und deswegen hab’ ich halt das Geschäft hier angefangen und vielleicht ist nicht alle Seide reine Seide und nicht alle Felldecken kommen aus Gont, aber die halten sich trotzdem gut – o ja, die halten sich gut! Die sind nämlich wirklich da, es sind keine Lügen und nicht bloß Luft, wie die Kleider aus Goldstoff!«
    »So, so«, sagte Falk langsam, »dann ist also niemand mehr da, der Feuer aus Ohren ziehen oder sonst irgend etwas Zauberisches machen kann?«
    Als sie die letzten Worte vernahm, runzelte sie die Stirn. Sie richtete sich auf und faltete die Decke sorgfältig zusammen. »Die Leute, die Lügen und Luftbilder wollen, die kauen Hazia«, sagte sie. »Geh und red mit denen, wenn du willst!« Sie deutete mit einer

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