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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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herauszukommen.
    Die feuchte, halbüberdachte, schattige Straße war ein heller Garten im Vergleich zu Hasens Zimmer. Sie gingen auf dem kürzesten Weg in die Oberstadt, eine steile Treppe zwischen efeubewachsenen Mauern hinaufkletternd. Arren atmete tief ein und aus, wie ein junger Seelöwe, der nach frischer Luft schnappt. »Huch!! – Gehen Sie wieder dorthin zurück?«
    »Hmmm, es ist möglich. Außer ich finde eine Quelle, die ich unter weniger gefährlichen Umständen anzapfen kann. Er hat bestimmt einen Anschlag auf uns geplant.«
    »Aber sind Sie nicht gegen Diebe und solches Gesindel gefeit?«
    »Gefeit?« sagte Sperber. »Wie meinst du das? Glaubst du, ich wickle mich in Zauberformeln ein wie ein altes Weib, das Angst vor Rheuma hat? Dazu habe ich keine Zeit. Ich verberge mein Gesicht, um unsere Suche geheimzuhalten, weiter nichts. Wir können uns gegenseitig beschützen. Denn das eine steht fest: diese Fahrt ist gefährlich.«
    »Natürlich«, sagte Arren steif und ärgerlich; sein Stolz war verletzt. »Das habe ich auch erwartet.«
    »Dann ist es gut«, erwiderte der Magier unbeirrt, und doch lag Freundlichkeit in seiner Stimme, die Arrens Ärger verfliegen ließ. Sein Ärger hatte ihn sowieso erschüttert, denn nie hätte er es für möglich gehalten, daß er in diesem Ton zum Erzmagier sprechen würde. Doch dann, es war der Erzmagier, und er war es auch wieder nicht, der da neben ihm einherging, dieser Mann Falk mit der Knollennase und dem eckigen, unrasierten Kinn, dessen Stimme einmal so und dann wieder anders klang: er war ein Fremder, man konnte sich nicht auf ihn verlassen.
    »Haben Sie das verstanden, was er geredet hat?« fragte Arren, dem der Gedanke, wieder in das düstere Zimmer über dem stinkenden Fluß zurückkehren zu müssen, schwer auf dem Herzen lag. »Dieses Gequassel vom Leben und Totsein und von dem Zurückkehren mit abgehauenem Kopf?«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich es verstanden habe. Ich wollte mit einem Zauberer reden, der seine Macht verloren hat. Er sagte, daß er sie nicht verloren – sondern hergegeben, eingetauscht hat. Wofür? Leben für Leben, hat er gesagt, Macht für Macht. Nein, ich habe ihn nicht verstanden, aber es lohnt sich, ihm zuzuhören.«
    Sperbers ruhige, vernünftige Worte beschämten Arren noch mehr. Er kam sich verzogen und ungeduldig vor, wie ein kleines Kind. Der Mann Hase hatte ihn kurz in seinen Bann gezogen, doch jetzt fühlte er nur noch Abscheu in sich aufsteigen, wie wenn er etwas Ekelhaftes gegessen hätte. Er nahm sich vor, nicht mehr zu sprechen, bis er seine Verstimmung überwunden hatte. Im nächsten Augenblick rutschte er auf den abgetretenen, glitschigen Stufen aus, fing sich und zerkratzte sich die Hände an den Steinen. »O verflucht, diese dreckige Stadt!« brach es aus ihm heraus. Der Magier erwiderte trocken: »Ich glaube, es ist nicht nötig, sie zu verfluchen.«
    Und er hatte recht. Etwas stimmte nicht mit der Stadt Hort. Es lag fast greifbar in der Luft, und man war versucht, von einem Fluch zu sprechen, und doch hatte man nicht das Gefühl, als ob eine gegenständliche Ursache vorläge, eher war es ein Fehlen, eine Schwächung aller Kräfte, eine Krankheit, die den Besucher nicht verschonte. Selbst die Nachmittagssonne schien krank zu sein, sie brannte viel zu heiß am Märzhimmel. Auf den Plätzen und Straßen drängten sich die Menschen, die Geschäfte schienen zu blühen, doch herrschten weder Ordnung noch Wohlstand, sondern nur Unrast und Mißgunst. Die Waren erschienen ihnen schlecht, die Preise zu hoch, weder Käufer noch Verkäufer waren sicher vor Diebstahl und Raubüberfall, die Banden trieben sich ungehindert auf den Straßen herum. Man sah nur wenige Frauen in der Öffentlichkeit, und wenn sie erschienen, so blieben sie stets beisammen. Es war eine Stadt ohne Gesetz und Ordnung, ohne Verwaltung, ohne Oberhaupt. Und als sie sich mit einigen Einwohnern unterhielten, erfuhren sie, daß es tatsächlich keinen Stadtrat, keinen Bürgermeister und keine Fürsten mehr in Hort gab. Manche waren gestorben, manchen war gekündigt und einige waren ermordet worden. Sie erfuhren, daß Bandenführer jetzt die verschiedenen Stadtteile tyrannisierten, daß im Hafenviertel die früheren Hafenwächter herrschten und unverschämte Abgaben forderten, und daß alle nur darauf aus waren, ihr eigenes Säckel zu füllen.
    Die Stadt hatte keinen Stadtkern mehr. Die Leute, die so geschäftig herumeilten, schienen kein bestimmtes Ziel zu verfolgen.

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