Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
hat der eine zum Bürgermeister gesagt: ›Du kannst ein wahres Azur nicht von blauem Dreck unterscheiden!‹ Und sie beklagen sich über die schlimmen Zeiten und wissen gar nicht, wann sie eigentlich angefangen haben, und sie klagen über die Verschlechterung der Waren, tun aber nichts, um sie zu verbessern, sie wissen nicht einmal den Unterschied zwischen einem Handwerker und einem Zaubermeister, zwischen Kunsthandwerk und magischer Kunst. Mir kommt es vor, als hätten sie Unterschiede, Farben und Umrisse nicht ganz klar im Kopf. Alles kommt ihnen gleich vor, alles scheint ihnen grau zu sein.«
    »Stimmt«, sagte der Magier nachdenklich. Er marschierte eine Weile weiter, den Kopf zwischen hoch gezogenen Schultern, falkenähnlich; obgleich er nicht besonders groß war, machte er lange Schritte: »Was fehlt ihnen?«
    Ohne zu zögern antwortete Arren: »Lebensfreude.«
    »Stimmt«, sagte Sperber wieder. Er grübelte eine Weile über Arrens Feststellung nach. »Ich bin froh«, sagte er schließlich, »daß ich dich dabeihabe und du für mich denkst, mein Junge … Ich bin müde und komme mir ganz dumm vor. Es hat mir weh getan und schmerzt mich noch immer, an sie zu denken, die einst Akaren gewesen war. Zerstörung und Verlust kann ich nur schwer ertragen. Ich will keinen Feind. Doch wenn mir einer bestimmt ist, so will ich ihn nicht suchen und finden und mich stellen … Wenn man schon auf eine Suche ausziehen muß, dann sollte am Ende ein Schatz zu erringen sein und nicht so etwas Verabscheuungswürdiges auf einen warten.«
    »Ein Feind?« fragte Arren.
    Sperber nickte.
    »Als sie vom Großen, vom König der Schatten …?«
    Sperber nickte wieder. »Ich glaube, ja«, sagte er. »Ich glaube, wir müssen nicht nur einen Ort, sondern auch einen Menschen suchen. Schlimm, ganz schlimm ist es, was hier auf dieser Insel vor sich geht: dieser Verlust an handwerklichem Können, an Stolz, diese Gleichgültigkeit! Das ist das Werk eines bösen Willens. Und dieser Wille hat es noch nicht einmal auf diese Insel hier abgesehen, Akaren und Lorbanery sind ihm ganz gleichgültig. Wir folgen weit mehr als nur einer Spur, es ist eine breite Bahn der Zerstörung, es kommt mir vor, als verfolgten wir einen Wagen, der sich losgerissen hat und jetzt den Berg hinunterpoltert und eine Lawine auslöst.«
    »Hätte sie – Akaren – Ihnen nicht mehr über diesen Feind erzählen können – wer er ist, wo und was er ist?«
    »Jetzt nicht mehr, mein Junge«, sagte der Magier leise, und seine Stimme klang hoffnungslos. »Sicher hätte ich darauf bestehen können. In ihrem Wahnsinn war noch Zauberkunst. Ja, ihr Wahnsinn war ihre Zauberkunst. Aber ich konnte sie nicht festhalten, damit sie mir Auskunft gebe. Sie hat zuviel gelitten.«
    Und er setzte seinen Weg fort, mit eingezogenem Kopf, als sei ihm eine erdrückende Last auferlegt, als suche er verzweifelt, einen furchtbaren Schmerz zu lindern.
    Arren wandte sich um, weil er meinte, Fußgetrappel hinter sich zu vernehmen. Er sah einen Mann, der hinter ihnen herlief, noch ziemlich weit weg. Der Abstand verringerte sich rasch. Der aufgewirbelte Staub und sein langes, zerzaustes Haar loderten in der Abendsonne und umgaben ihn wie mit einen Heiligenschein; sein langer Schatten hüpfte und sprang von Stamm zu Stamm der Bäume entlang des Weges. »Wartet auf mich!« rief er. »Hört mich an! Ich hab’s gefunden! Ich hab’s gefunden!«
    Der Mann kam auf sie zugerannt. Arrens Hand griff flugs dorthin, wo sein Schwert gehangen hatte, und bekam nur Luft zu fassen, dann griff er dorthin, wo sein verlorenes Messer gewesen war, und fand wiederum nur Luft, dann ballte er die Hand zur Faust, alles innerhalb eines kurzen Augenblicks; er zog die Brauen finster zusammen, und machte einen drohenden Schritt nach vorne. Der breitschultrige Mann überragte Sperber um einen vollen Kopf, und seine Augen blickten wild um sich. »Ich hab’s gefunden!« wiederholte er immer wieder atemlos, während Arren ihn mit strengem Blick musterte und mit herrischer Stimme Einhalt gebieten wollte. »Was wollen Sie von uns?« fragte er ihn. Der Mann versuchte, an ihm vorbei zu Sperber zu gelangen. Arren vertrat ihm den Weg.
    »Du bist der Färber von Lorbanery«, sagte Sperber.
    Jetzt merkte Arren, daß er sich lächerlich benommen hatte, denn Sperber mußte nur sechs Worte sagen, und der Mann atmete ruhiger und hörte auf, mit seinen großen farbbefleckten Händen wild herumzufuchteln, und sein Blick wirkte weniger irr. Er

Weitere Kostenlose Bücher