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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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sie hatten wenig Ursache zur Ausgelassenheit, und der Witz ging ihnen bald aus. Sie saßen und schwiegen eine lange Weile. Dann wandte sich der Bürgermeister an Sperber: »Haben Sie die blauen Steine bekommen?«
    »Ja, ich habe ein paar blaue Steine bekommen«, antwortete Sperber höflich.
    »Sopli hat Ihnen bestimmt gesagt, wo man sie bekommen kann.«
    »Hahaha«, ertönte es von der Wand. Der offensichtliche Spott fand den Beifall aller.
    »Sopli? Ist das der rothaarige Mann?«
    »Der Irre. Heute morgen haben Sie mit seiner Mutter gesprochen.«
    »Ich habe einen Zauberer gesucht«, sagte der Zauberer.
    Der magere Mann, der ihm am nächsten saß, spuckte in die Dunkelheit. »Wozu?«
    »Ich habe gehofft, daß ich vielleicht das finden werde, wonach ich suche.«
    »Wenn Leute nach Lorbanery kommen, dann suchen sie Seide, nicht Steine«, stellte der Bürgermeister fest. »Sie suchen auch kein Zauberzeug, kein Mit-dem-Arm-Herumschwingen und Gefasel und Hexengeplänkel. Hier wohnen ehrliche Leute, die ein ehrliches Handwerk treiben.«
    »Das stimmt. Er hat recht«, ließen sich die anderen vernehmen. »Wir brauchen kein fremdes Volk hier, keine Leute, die sich in unsere Angelegenheiten mischen und ihre Nase in Sachen stecken, die sie nichts angehen.«
    »Das stimmt. Er hat recht«, ertönte es im Chor.
    »Wenn wir Zauberer hätten, die nicht verrückt wären, dann würden wir sie in unseren Werkschuppen anstellen, aber die wissen ja nicht, was es heißt, ordentlich zu arbeiten.«
    »Sie wüßten es vielleicht schon, wenn es Arbeit gäbe«, sagte Sperber. »Aber eure Schuppen stehen ja leer, eure Bäume sind vernachlässigt, und die Seide in den Lagerhallen wurde schon vor Jahren gewoben. Was treibt ihr denn hier auf Lorbanery?«
    »Wir kümmern uns um unseren eigenen Kram«, erwiderte der Bürgermeister barsch, aber der Magere unterbrach ihn aufgeregt: »Warum kommen denn keine Schiffe, he? Was ist denn los in Hort? Hat das mit unserer Seide zu tun, die nicht mehr die gleiche Güte hat wie …?«
    Wütende Stimmen unterbrachen ihn. Sie begannen untereinander zu streiten, sprangen auf, der Bürgermeister schüttelte die Faust dicht vor Sperbers Gesicht, ein anderer hielt plötzlich ein Messer in der Hand. Ihre Stimmung war umgeschlagen, ein wilder Taumel hatte sie erfaßt. Arren war aufgesprungen. Er blickte auf Sperber; er wartete darauf, daß der aufstehen würde und sich im plötzlichen Glanz seines magischen Lichtes vor ihnen erheben und sie mit seiner Macht zum Schweigen bringen würde. Aber er rührte sich nicht. Er blieb sitzen und blickte von einem zum anderen und hörte gelassen ihren Drohungen zu. Und allmählich verstummten sie. Sie konnten ihren Zorn genausowenig aufrechterhalten wie ihre Ausgelassenheit. Das Messer verschwand in der Scheide. Die Drohungen milderten sich zu Beschimpfungen. Sie verließen die Kampfstätte wie Hunde nach einer Rauferei: die einen hocherhobenen Hauptes, die anderen mit eingezogenem Schwanz.
    Als sich die beiden allein wieder fanden, stand Sperber auf, ging hinein in die Gaststätte und trank einen langen Schluck Wasser aus dem Krug, der neben der Tür stand. »Komm, Junge!« sagte er. »Mir reicht’s hier.«
    »Zum Boot?«
    »Ja«; er legte zwei Silberstücke auf den Fenstersims, um für Bewirtung und Übernachtung zu zahlen. Dann hob er das leichte Bündel mit ihrer Kleidung auf die Schultern. Arren war müde und schläfrig, aber nachdem er einen Blick in die Gaststube geworfen hatte, die stickig und düster war, und in deren Gebälk sich das unaufhörliche Piepsen und Rascheln der Fledermäuse vernehmen ließ, erinnerte er sich wieder an die vergangene Nacht: Er folgte Sperber gern. Auch hoffte er, als sie die einzige Straße von Sosara in der Dunkelheit hinabschritten, daß sie nun auch diesen Sopli vom Halse hätten. Aber als sie den Hafen erreichten, wartete er schon an der Anlegestelle.
    »Da bist du ja«, sagte der Magier. »Geh an Bord, wenn du mitkommen willst.«
    Wortlos stieg Sopli ins Boot und kauerte sich beim Mast nieder wie ein großer, zottiger Hund. Das überstieg Arrens Geduld. »Mein Gebieter!« sagte er. Sperber wandte sich um. Sie standen sich gegenüber.
    »Die Leute hier auf der Insel sind alle verrückt. Ich dachte, Sie seien es nicht. Warum nehmen Sie ihn mit?«
    »Als einen Führer.«
    »Als Führer – in den Wahnsinn? In den Tod durch Ertrinken oder mit einem Messer im Rücken?«
    »In den Tod, ja – aber auf welchem Weg, weiß ich auch

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