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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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ihrer Haltung lag die Spur einstiger Würde. »Ich will nicht auf ewig weiterleben. Ich hätte viel lieber die Namen wieder zurück. Aber sie sind alle verschwunden. Namen spielen jetzt keine Rolle mehr. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Willst du meinen Namen wissen?« Ihre Augen glänzten, ihre Hände ballten sich zu Fäusten; sie lehnte sich nach vorn und flüsterte: »Ich heiße Akaren.« Dann schrie sie laut auf: »Akaren, Akaren, ich heiße Akaren. Jetzt wissen alle meinen geheimen, meinen wahren Namen, und es gibt keine Geheimnisse, keine Wahrheit mehr, es gibt keinen Tod mehr – keinen Tod mehr – keinen Tod!« Sie schrie die letzten Worte laut schluchzend hinaus, und Schaum trat auf ihre Lippen.
    »Sei ruhig, Akaren!«
    Sie wurde ruhig. Tränen rannen ihr übers Gesicht, das schmutzig und teilweise von strähnigem, grauem Haar bedeckt war.
    Sperber nahm das verrunzelte, verweinte Gesicht zwischen seine Hände und küßte sie ganz sacht auf die Augen. Sie stand regungslos da und hielt ihre Augen geschlossen. Dann flüsterte er ihr einige Worte in der Ursprache ins Ohr und küßte sie noch einmal, dann ließ er sie los.
    Sie schaute ihn mit klaren Augen eine Weile nachdenklich und erstaunt an. Ein neugeborenes Kind blickt so auf seine Mutter, eine Mutter blickt so auf ihr Kind. Sie wandte sich langsam um und ging auf die Tür ihres Hauses zu, trat ein und schloß sie hinter sich. Sie bewegte sich ruhig, und der staunende, stille Ausdruck blieb auf ihrem Gesicht liegen.
    Schweigend wandte sich der Magier um und ging zum Weg zurück. Arren folgte ihm. Er wagte nicht, irgendwelche Fragen zu stellen. Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, hielt der Magier in dem verwahrlosten Baumgarten inne und sagte: »Ich habe ihren Namen von ihr genommen und gab ihr einen neuen. Und in gewissem Sinne ist sie wiedergeboren. Es blieb mir nichts anderes übrig.«
    Er sprach mit Mühe, und seine Stimme klang erstickt.
    »Sie war einst eine mächtige Frau«, fuhr er fort, »kein gewöhnliches Zauberweib, auch keine Hexenbräumeisterin, sondern eine Frau, die bewandert war in den Hohen Künsten und die ihr Wissen benutzte, um Gutes und Schönes zu wirken, eine stolze, verehrenswerte Frau. Sie hat ein gutes Leben geführt, doch alles war umsonst.« Er drehte sich brüsk um und ging den Pfad zwischen den Obstbäumen entlang. Er blieb neben einem Baum stehen und kehrte Arren den Rücken zu.
    Arren wartete auf ihn, im warmen, vom Schattenspiel der Blätter unterbrochenen Sonnenlicht. Er wußte, daß Sperber ihn nicht mit seinen Gefühlen belasten wollte, und er konnte ihm auch nicht helfen, weder mit Worten noch durch eine Tat. Doch er fühlte mit der ganzen Stärke seines Herzens den Schmerz seines Gefährten; seine Liebe war tiefer und dauerhafter geworden als die romantische Flamme, die Verehrung, die er zuerst für ihn empfunden hatte; jetzt schmerzte sie ihn, denn sie kam aus der Tiefe seines Herzens und sie band ihn, untrennbar, an seinen Begleiter. Mitfühlen, Mitempfinden hatte seine Liebe gefestigt, hatte sie zu einem Ganzen geschlossen und ihr Bestand verliehen.
    Nach einer Weile kam Sperber durch die grünen Schatten der Bäume zu ihm zurück. Beide schwiegen. Seite an Seite gingen sie den Weg ins Dorf. Es war ziemlich heiß geworden. Der Regen der vergangenen Nacht hatte keine Spuren hinterlassen. Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, als sie dahinschritten. Am Morgen war Arren der Tag bedrückend und schwer erschienen, die Träume der Nacht hatten nachgewirkt. Doch jetzt kehrte sein Wohlbehagen wieder zurück. Es gefiel ihm, abwechselnd in der brennenden Sonne und im kühlenden Schatten dahinzuwandern, ohne sich groß Gedanken über ihr ferneres Ziel machen zu müssen.
    Er hätte es dabei bewenden lassen können, denn ihr Nachmittag verlief völlig ergebnislos. Sie unterhielten sich mit verschiedenen Männern, die in den Steinbrüchen arbeiteten, wo die zum Färben notwendigen Mineralien gewonnen wurden. Einige behaupteten, Emmelstein zu haben, und Sperber handelte ihnen auch ein paar Steinsplitter ab, die ihm als Emmelstein angeboten wurden. Die späte Nachmittagssonne brannte heiß auf ihre Köpfe und Nacken, als sie nach Sosara zurückkehrten. Sperber meinte: »In Wirklichkeit ist es ja blauer Malachit, aber ich bin sicher, daß sie in Sosara den Unterschied auch nicht kennen.«
    »Die Leute hier sind komisch«, stellte Arren fest. »Sie kennen keine Unterschiede. Es ist so mit allem. Gestern abend zum Beispiel

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