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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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nickte.
    »Ich war der Färber«, sagte er, »aber jetzt kann ich nicht mehr färben.« Er blickte Sperber von der Seite her an und grinste, dann schüttelte er seinen rötlichen, staubigen Haarschopf. »Du hast meiner Mutter den Namen weggenommen«, sagte er. »Jetzt kenne ich sie nicht mehr, und auch sie kennt mich nicht mehr. Sie mag mich immer noch, aber jetzt hat sie mich verlassen. Sie ist tot.«
    Arrens Herz krampfte sich zusammen, aber er sah, daß Sperber nur leicht den Kopf schüttelte. »Nein, nein«, sagte er. »Sie ist nicht tot.«
    »Aber sie wird tot sein. Sie wird sterben.«
    »Stimmt. Das ist eine Folge des Lebendigseins«, sagte der Magier. Der Färber stutzte und schien eine Weile über diese Worte nachzudenken, dann trat er auf Sperber zu, packte ihn an den Schultern und beugte sich über ihn. Das alles geschah so schnell, daß Arren ihn nicht daran hindern konnte, aber er stand so dicht bei ihm, daß er sein Flüstern vernahm: »Ich habe den Riß in der Dunkelheit gefunden. Der König stand dort. Er paßt darauf auf, er bewacht sie. Er hat ein kleines Licht in der Hand, eine Kerze. Er hat geblasen, und sie ist erloschen. Dann blies er noch mal, und sie brannte wieder! Sie brannte!«
    Sperber wehrte sich nicht gegen seinen Griff, und er gebot ihm auch nicht, lauter zu sprechen. Er fragte nur ganz schlicht: »Wo warst du, als du das gesehen hast?«
    »Im Bett.«
    »Geträumt?«
    »Nein.«
    »Auf der anderen Seite der Mauer?«
    »Nein«, sagte der Färber, und seine Stimme klang ernüchtert; man sah, daß ihm unbehaglich wurde. Er gab die Schultern des Magiers frei und trat einen Schritt zurück. »Nein, ich … ich weiß nicht, wo es ist. Ich habe es gefunden. Ich weiß nicht, wo.«
    »Und gerade das wüßte ich gern«, sagte Sperber.
    »Ich kann dir helfen.«
    »Wie?«
    »Du hast ein Boot. Du bist hierher gesegelt. Du segelst wieder fort damit. Nach Westen? Dort ist der Weg. Der Weg zu dem Ort, von dem er kommt. Es muß eine Stelle geben – hier –, denn er lebt … er ist nicht wie die Geister, die Körperlosen, die über die Mauer gehen, nein, nein, er ist nicht so … nur Seelen kommen über die Mauer, aber er hat einen Körper, sein Fleisch ist unsterblich. Ich habe gesehen, wie er die Flamme mit seinem Atem anblies, und er hat sie ausgelöscht. Das habe ich gesehen!« Ein ekstatischer Ausdruck kam über seine Züge und verlieh seinem Gesicht im abendlichen rotgoldnen Licht eine wilde Schönheit. »Ich weiß, daß er den Tod überwunden hat. Ich weiß es. Ich habe meine Zauberkunst hergeben müssen, um das zu wissen. Ich war nämlich Zauberer! Du weißt das! Und du gehst dorthin zurück. Nimm mich mit!«
    Das gleiche rotgoldne Licht fiel auf Sperbers Züge, doch sie blieben davon unberührt; sein Gesicht war hart. »Ich versuche, dorthin zu gehen«, sagte er.
    »Laß mich mitgehen!«
    Sperber nickte kurz. »Du mußt bereit sein, wenn wir absegeln«, sagte er, genauso kurz angebunden wie zuvor.
    Der Färber trat einen Schritt zurück, der triumphierende Ausdruck auf seinem Gesicht schwand, es bewölkte sich, und er starrte Sperber mit großen stieren Augen unverwandt an. Es war, als ob ein Gedanke sich langsam durch den Sturm von Gefühlen, Visionen und Worten quäle, der ihn verwirrte. Endlich wandte er sich von ihnen ab und hastete ohne ein weiteres Wort den Weg wieder zurück, in den vorher aufgewirbelten Staub hinein, der sich noch nicht wieder gesetzt hatte. Arren seufzte erleichtert auf.
    Auch Sperber seufzte, doch der Seufzer schien sein Herz nicht zu erleichtern. »Na ja«, sagte er, »auf seltsamen Wegen findet man seltsame Führer. Komm, gehen wir!«
    Arren marschierte im gleichen Schritt neben ihm her. »Sie werden ihn doch nicht mitkommen lassen?« fragte er.
    »Das bleibt ihm überlassen.«
    Und mir, dachte Arren, und Ärger wallte kurz in ihm auf. Doch er sagte nichts, und sie gingen schweigend weiter.
    Man empfing sie nicht sehr freundlich in Sosara. Auf einer so kleinen Insel wie Lorbanery bleibt nichts verborgen, und man hatte zweifellos gesehen, wie sie vom Weg abgebogen, sich dem Haus des Färbers zugewandt und mit dem Irren gesprochen hatten. Der Gastwirt bediente sie widerwillig, und seine Frau hatte Todesangst vor ihnen. Am Abend, als die Männer des Dorfes gewohnheitsmäßig unter dem Dachvorsprung entlang der Hauswand saßen, gingen sie sehr offensichtlich über die Fremden hinweg und bemühten sich, ein besonders lustiges und witziges Gespräch zu führen. Aber

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