Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
schwarzen, unerbittlichen Häupter emporreckten, ausgespien hatten.
Hier, in diesem schmalen Tal in tiefem Dunkel hielten sie an. Sie standen wie die Toten und starrten schweigend ohne Ziel ins Nichts. Arren dachte, und es schreckte ihn wenig: »Wir sind zu weit gegangen.«
Es war bedeutungslos geworden.
Ged sprach seine Gedanken aus. »Wir sind zu weit gegangen, um noch umkehren zu können.« Geds Stimme war leise, doch ihr Schall wurde von der großen schwarzen Leere, die sie umgab, nicht völlig erstickt, und als Arren die Laute vernahm, verlor er etwas von der Gleichgültigkeit, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Waren sie nicht hierhergekommen, um den zu finden, dem ihre Suche galt?
Eine Stimme aus der Dunkelheit sprach: »Ihr seid zu weit gegangen.«
Arren antwortete: »Nur zu weit ist weit genug.«
»Ihr befindet euch am Trockenen Fluß«, ließ die Stimme sich wieder vernehmen. »Ihr könnt nicht mehr zur Steinmauer zurück. Ihr könnt nicht mehr ins Leben zurück.«
»Nicht auf diesem Weg«, sagte Ged in die Dunkelheit hinein. Arren konnte ihn kaum erkennen, obgleich sie nebeneinander standen, denn die Berge, unter denen sie sich befanden, hielten das schwache Sternenlicht ab, und die Strömung des Trockenen Flusses schien aus der Dunkelheit selbst zu bestehen. »Doch wir könnten von dir lernen und den Weg erfahren.«
Sie erhielten keine Antwort.
»Hier treffen wir als Ebenbürtige aufeinander. Wenn du blind bist, Cob, so denke daran, daß auch wir uns im Dunkeln befinden.«
Sie erhielten keine Antwort.
»Wir können dir hier nichts antun. Wir können dich nicht töten. Wovor also fürchtest du dich?«
»Ich kenne keine Furcht«, ließ die Stimme in der Dunkelheit sich vernehmen. Dann, ganz allmählich, begann es zu schimmern, wie das Licht, das manchmal an Geds Stab erschien, und der Mann wurde sichtbar. Er stand etwas stromaufwärts, nicht weit von Ged und Arren entfernt, zwischen den riesigen, undeutlichen Felsblöcken. Er sah wieder groß, breitschultrig und langarmig aus, wie die Gestalt, die auf der Düne am Strand von Selidor gestanden hatte, doch nun auch viel älter; sein Haar war weiß und hing in schütteren Strähnen über die hohe Stirn. So erschien er vor ihnen im Geist, im Königreich des Todes, unverbrannt und unverletzt vom Feuer des Drachen, aber doch nicht vollkommen: die Höhlen seiner Augen waren leer.
»Ich kenne keine Furcht«, wiederholte er. »Wovor sollte sich ein Toter fürchten?« Er lachte. Das Lachen hallte so widerlich, so unheimlich durch das schmale, steinige Tal unter den Bergen, daß Arrens Herz einen Augenblick stehenblieb. Doch er umfaßte sein Schwert fester und hörte zu.
»Ich weiß auch nicht, wovor sich ein Toter fürchten sollte«, antwortete Ged, »bestimmt nicht vor dem Tod. Doch mir scheint, daß du ihn fürchtest, obgleich du einen Weg gefunden hast, ihm zu entgehen.«
»Das habe ich. Ich lebe. Mein Körper lebt.«
»Nicht so besonders gut«, erwiderte der Magier trocken. »Die Illusion kann zwar das Alter verbergen, doch Orm Embar ging nicht eben sorgfältig mit diesem Körper um.«
»Ich kann ihn heilen. Ich kenne die Geheimnisse des Heilens und der Jugend, und das ist keine Illusion. Wofür hältst du mich denn? Weil man dich zum Erzmagier gemacht hat, glaubst du vielleicht, daß ich nur ein Dorfzauberer bin? Ich allein unter all den Magiern habe den Weg zur Unsterblichkeit gefunden, keinem anderen ist das geglückt.«
»Vielleicht haben wir es nicht versucht«, sagte Ged.
»Ihr habt es versucht. Ihr alle. Ihr habt es versucht, und keinem ist es gelungen. Dann habt ihr weise Worte geredet vom Hinnehmen und vom Gleichgewicht der Dinge, vom Gleichgewicht des Lebens und des Todes. Worte, nichts als leere Worte – um euer Unvermögen zu vertuschen, um eure Angst vor dem Tode zu verbergen! Zeig mir den Menschen, der nicht ewig leben wollte, wenn er könnte! Ich kann es. Ich sterbe nicht. Ich tat, was du nicht tun konntest, und deswegen bin ich dein Meister, und das weißt du. Willst du wissen, wie ich es geschafft habe, Erzmagier?«
»Ja, ich würde es gerne wissen.«
Cob trat einen Schritt näher. Arren bemerkte, daß der Mann, obwohl er keine Augen hatten, sich doch nicht wie ein Blinder benahm; er schien genau zu wissen, wo Arren und Ged standen, er wußte auch, daß sie beide da waren, obgleich er kein einziges Mal den Kopf in Arrens Richtung wandte. Er mußte eine magische Kraft besitzen, die ihn sehen und erkennen ließ, wie es
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