Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
pflegten. Sodann scheuchte Lady Opal die Zofen zurück zur Kutsche, während die Prinzessin sich wieder zum Landungssteg wandte.
Es folgte eine kurze Pause. Tenar konnte sehen, wie die gesichtslose Säule aus Rot und Gold tief Luft schöpfte. Sie reckte sich ein Stück höher.
Sie bewegte sich den Landungssteg hinauf, ganz langsam, denn das Wasser war gestiegen und der Winkel war steil, aber mit einer unbeirrbaren Würde, welche die gaffenden Massen am Ufer in staunenden, faszinierten Bann schlug.
Sie erreichte das Deck und hielt dort inne, vor dem König. »Hohe Prinzessin der Kargadreiche, seid willkommen an Bord!«, rief Lebannen mit schallender Stimme. Da brach die Menge in tosenden Jubel aus: »Hurra für die Prinzessin! Lang lebe die Königin! Gut gegangen, Rotschleier!«
Lebannen sagte etwas zu der Prinzessin, das der Jubel der Menge unhörbar für die anderen machte. Die rote Säule wandte sich an die Menge am Kai und verbeugte sich, steif, aber voller Anmut.
Tehanu hatte ein Stück hinter dem König auf sie gewartet; sie kam jetzt nach vorn, sprach mit ihr und führte sie zur Achterkajüte des Schiffes, in welcher die schweren, sanft wogenden rotgoldenen Schleier verschwanden. Die Menge jubelte und schrie begeisterter denn je. »Komm zurück, Prinzessin! Wo ist Rotschleier? Wo ist unsere Herrin? Wo ist die Königin?«
Tenar schaute über die Länge des Schiffes hinweg zum König. Ungeachtet ihrer bösen Ahnungen und ihrer Herzensschwere wallte ein unbändiger Drang in ihr auf, laut aufzulachen. Armer Junge, dachte sie, was wirst du jetzt tun? Sie haben sich gleich beim ersten Mal, da sie die Chance hatten, sie zu sehen, in sie verliebt, und das, obwohl sie sie nicht einmal wirklich sehen konnten ... Oh, Lebannen, wir sind allesamt gegen dich verbündet!
Die Delphin war ein großes Schiff, dazu ausgerüstet, einen König in gewissen Pomp und in leidlicher Bequemlichkeit zu transportieren; aber zuallererst war sie dazu geschaffen zu segeln, mit dem Wind zu fliegen, ihn so geschwind wie möglich dorthin zu bringen, wohin er musste. Die Unterkünfte waren schon beengt genug, wenn bloß die Mannschaft und die Offiziere, der König und eine Hand voll Begleiter an Bord waren. Auf dieser Reise nach Rok freilich waren die Verhältnisse mehr als eingeschränkt. Während die Besatzung in nicht mehr als der gewohnten Unbequemlichkeit hauste, nämlich unten in der drei Fuß hohen Hütte des vorderen Laderaumes, mussten sich die Offiziere eine jämmerliche schwarze Kajüte teilen. Was die Fahrgäste anbelangte, so waren alle vier Frauen in der Kajüte im Achterschiff untergebracht, die gewöhnlich dem König Vorbehalten war, während sich die Kajüte darunter, die gewöhnlich mit dem Kapitän und einem oder zwei Offizieren belegt war, der König, die beiden Zauberer, der Hexer und Tosla teilten. Die Aussichten für Trübsal, Reibereien und üble Stimmung waren bestens, dachte Tenar. Die erste und dringendste Wahrscheinlichkeit indes war, dass die Hohe Prinzessin seekrank werden würde.
Sie durchfuhren die Große Bucht mit dem denkbar lindesten Rückenwind und ruhigem Wasser, auf dem das Schiff dahinglitt wie ein Schwan auf einem Weiher; aber Seserakh kauerte auf ihrer Koje und schrie jedes Mal verzweifelt auf, wenn sie durch ihre Schleier nach draußen schaute und ihr Blick durch die breiten Heckfenster auf die in der Sonne glänzende, ruhige See und das sanft gurgelnde Kielwasser der Delphin fiel. »Es wird auf und nieder gehen«, klagte sie auf Kargisch.
»Es geht mitnichten auf und nieder«, sagte Tenar. »Gebraucht Euren Kopf, Prinzessin!«
»'s ist mein Magen, nicht mein Kopf«, wimmerte Seserakh.
»Bei diesem Wetter kann man gar nicht seekrank werden. Ihr habt schlicht Angst.«
»Mutter«, protestierte Tehanu, die, wenn auch nicht die Worte, so doch den Ton verstand. »Schelte sie nicht. Es ist schrecklich, seekrank zu sein.«
»Sie ist nicht seekrank!«, versetzte Tenar. Sie war zutiefst überzeugt, dass sie Recht hatte. »Seserakh, Ihr seid nicht seekrank. Reißt Euch zusammen. Geht hinaus aufs Deck. Die frische Luft wird Euch gut tun. Frische Luft bringt frischen Mut.«
»Ach, meine Freundin«, stöhnte Seserakh auf Hardisch. »Macht mir Mut!«
Tenar war ein wenig verblüfft. »Den müsst Ihr Euch selbst machen, Prinzessin«, sagte sie. Dann, mitleidsvoll: »Kommt, versucht es doch einfach mal; nur für eine Minute. Tehanu, vielleicht kannst du sie ja überreden. Stell dir vor, wie sie erst leiden
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