Der erfolgreiche Abstieg Europas
größere Gewichtung geben und die Kooperation in einer größeren Gemeinschaft fördern. Ihren deutlichsten Ausdruck findet diese Entwicklung in der immer noch informellen Struktur, aber wachsenden Bedeutung der G20. Als Folge der Finanzkrise in Asien im Jahr 1999 zunächst auf der Ebene der Finanzminister entstanden, tragen die G20 nicht nur dem gestiegenen Einfluss der Schwellenländer Rechnung. Die G20 sollen vor allen Dingen gemeinsam eine Reform des Weltfinanzsystems voranbringen, um eine erneute Finanzkrise verhindern zu können.
Selbst die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westens steht nicht mehr außer Frage. Die Werte, die unser Verständnis von Wirtschaft und Politik prägen, sind durch die Finanzkrise erheblich beschädigt worden. Wenn Wachstumsstreben zu Gier und behauptete Leistung zur Farce wird, zerbröckelt auch die Attraktivität der Werte, die westliche Politiker so gerne wie ein Panier vor sich hertragen. Die Imagekrise des Westens lässt sich nicht mehr von der Hand weisen. Symbolisch stehen dafür die Namen Abu Ghraib und Guantánamo. Folter und die staatlich geduldete, wenn nicht sogar geförderte Verletzung von Menschenrechten vor allem durch die USA haben dem strahlenden Image westlicher Werte erheblichen Schaden zugefügt. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass wir uns in unserem Sendungsbewusstsein selbst im Wege stehen. Der Grund ist ebenso einfach wie riskant: Werte sind letztlich nicht verhandelbar. Eine Politik, die sich zu ihrer Legitimation auf Werte gründet, ist es auch nicht. Es gibt folglich nur Gewinner und Verlierer – oder doppelte Standards, unter denen die Politik des Westens in den letzten Jahren in immer stärkerem Maße leidet.
Die so weit skizzierte »Bilanz des Schreckens« führt uns zu vier eigentlich einfachen Einsichten:
Wenn man wollte, könnte man die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte von Jahrhunderten schreiben, in der jedes neue Jahrhundert mehr Menschenleben durch Krieg und Bürgerkrieg gefordert hat das vorangegangene. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gibt wenig Anlass zu der freudigen Erwartung, dass es uns gelingt, im 21. Jahrhundert diesen Trend zu brechen. Verlässliche Zahlen sind natürlich schwer zu ermitteln. Aber Schätzungen der Zahl der Toten aus Konflikten und Kriegen seit 2000 lassen sich leicht auf mehrere Hunderttausend Tote hochrechnen – eine ernüchternde Bilanz für das vergangene Jahrzehnt und eine schwere Bürde für die kommenden Jahre.
Für Europa haben sich die Hoffnungen vom Silvesterabend 1999/2000 nicht erfüllt. Die EU ist so groß wie nie zuvor, hat es nur mit Mühe geschafft, ihre inneren Probleme zu lösen, und bleibt auf internationalem Parkett ein schwer zu durchschauender, häufig zerstrittener und wenig handlungsfähiger Akteur. Ob Europa in der multipolaren Welt der Zukunft tatsächlich ein wichtiger Pol sein wird, wird mittlerweile von strategischen Eliten in fast allen Teilen der Welt, einschließlich der USA, mit einem Fragezeichen versehen.
Ähnlich problematisch sieht die Bilanz für die westliche Führungsmacht USA aus. Am Anfang des Jahrzehnts standen die USA auf dem Gipfel ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht, eine »Supermacht« wie aus dem Lehrbuch. Sie verfügten über erhebliche Haushaltsüberschüsse und hatten militärisch wie moralisch zwei Kriege gegen den Irak und auf dem Balkan gewonnen. Das Trauma von Vietnam schien vergessen. Amerikas »unilateraler Moment« wurde gefeiert. Ganz anders am Ende des Jahrzehnts. Ein explodierendes Haushaltsdefizit und eine von Amerika ausgehende Weltwirtschaftskrise, ein folgenreicher Terroranschlag und das kollektive Gefühl von Verletzlichkeit, problematische militärische Engagements in Afghanistan und dem Irak und ein Image in anderen Teilen der Welt, das wohl nie schlechter war, bestimmen das Bild von Amerika. Es stellt sich für viele die bange Frage: Ist das der Anfang vom Ende amerikanischer Vorherrschaft oder kommen die USA zurück?
Aber wo Schatten ist, ist eben auch Licht. Würde man das vergangene Jahrzehnt aus der Sicht der Schwellenländer betrachten, sähe die Bilanz ganz
anders und viel positiver aus. Ihr ökonomischer Aufstieg ist sprichwörtlich, und mit Eifer und zunehmendem Selbstbewusstsein gehen sie daran, ihre
ökonomische in politische Macht zu übersetzen. Der gescheiterte Klimagipfel in Kopenhagen war ein eindrucksvoller Beleg für diese Entwicklung. »China
diktiert der Welt seine
Weitere Kostenlose Bücher