Der erfolgreiche Abstieg Europas
erlagen dem Zauber eines geradezu verführerisch falschen mythologischen Bezuges: In der Sage nämlich gewinnt am Ende immer Venus, weil der vom Kriegshandwerk des Tages ermüdete Mars am Abend nur in ihren Armen Ruhe und Geborgenheit findet. Sucht man wirklich nach einer mythologischen Entsprechung, wäre es wahrscheinlich sinnvoller, Zeus und Prometheus zu wählen, den in seinem Machtanspruch unbestrittenen Schleuderer des Blitzes im ständigen Streit mit dem Freund der Menschheit, der das Feuer zähmt und Wissen bringt.
Einer der wenigen deutschen Autoren, der es in diesen Welterklärungsdebatten schaffte, international wahrgenommen zu werden, ist Gabor Steingart, langjähriger Spiegel -Mitarbeiter und heute Chefredakteur des Handelsblattes . Mit seiner These vom kommenden Weltkrieg um Wohlstand 29 sorgte er für heftige Debatten und – wie nicht anders zu erwarten – auch für viel Widerspruch. Nachdem er schon den Abstieg Deutschlands prognostiziert hatte, 30 holte er in einer jetzt globalen Perspektive zum Rundumschlag aller gegen alle aus, in der es am Ende offensichtlich nur um die Verteidigung des Westens gegen alle Aufsteigerstaaten geht. In der Kurzfassung: »Asien trumpft auf, während Europa und Amerika im Weltkrieg um Wohlstand zurückfallen. Die Methoden der Angreiferstaaten sind gleichermaßen brutal wie erfolgreich: Sie ertragen im Land bittere Armut, verursachen Umweltzerstörungen in nie gekanntem Ausmaß, um ihre Kräfte in den Exportindustrien zu konzentrieren. Der Westen wird bei Löhnen und Sozialstandards unterboten, sein in Jahrzehnten erworbenes Wissen oftmals gezielt abgesaugt. … Das Zeitalter westlicher Dominanz geht zu Ende« (Klappentext). Die Fronten sind für Steingart klar. Der Westen befindet sich in einem geopolitischen Großkonflikt mit den aufsteigenden Wirtschaftsnationen aus Asien (und teilweise auch Lateinamerika). Die Überlegung, die so neu und überraschend ja nicht ist, wird aber bei ihm unterlegt mit einem martialischen Grundton und einem Plädoyer für Gegenwehr auf allen Ebenen. »Angreiferstaaten« ist ein Begriff, den er ohnehin gerne benutzt, um Länder wie China, Indien und Brasilien zu charakterisieren. Abschottung – etwa im Rahmen einer transatlantischen Freihandelszone – erscheint ihm als adäquates Mittel der Gegenwehr. Protektionismus ist für ihn kein Schimpfwort, sondern ein adäquates Mittel zum Zweck. Man mag fragen, ob die von Steingart gezeichnete Welt tatsächlich einen solchen Nullsummenspielcharakter aufweist. Stimmt es eigentlich, dass der Aufstieg der einen automatisch zum entsprechenden Abstieg von anderen führen muss? Zugespitzte Thesen also, die allesamt dem Gegensatz »hier stehen wir – dort sind die anderen« verpflichtet sind. Depressivdiagnose hat man Steingart vorgehalten, weil ihn erkennbar die Angst um den Abstieg Europas antreibt. Alarmismus musste er sich vorwerfen lassen, und natürlich ein Apologet der Abschottung zu sein, gegen die viele hierzulande fast automatisch und beschwörend anschreiben. Aber immerhin hat er Klartext zu schreiben versucht, auch wenn er im Ergebnis den Schwarz-Weiß-Mustern des Zeitgeistes verhaftet bleibt.
Die genannten Autoren haben alle auf ihre Weise mit ihren Thesen und Erklärungsversuchen besondere Prominenz gewonnen, aber sie stehen eigentlich nur als ausgewählte Beispiele für den anhaltenden Kampf um Terminologiehoheit bei der Beschäftigung mit internationaler Politik. Die Liste ließe sich im Einzelnen jederzeit und beliebig verlängern. Hinter solchen Debatten steht immer mehr als nur der vordergründige Versuch, bestimmte Phänomene neu zu benennen. Worte sind wie Waffen, sagt man. Aber sie sind auch Korsette. Sie pressen konkrete Sachverhalte in einfache Formeln. Sie begründen die Möglichkeit des Austausches von Ideen undPositionen, sie reduzieren aber auch Komplexität bis zur Unkenntlichkeit.
Der Wettbewerb um Begriffe dreht sich sicher auch um Einfluss, Eitelkeit und Geld. Wer es schafft, provozierend zu formulieren, kann sicher sein, von der Presse zitiert und auf Konferenzen und in Talkshows eingeladen zu werden. Zugegeben: Nichts anderes tue auch ich in diesem Buch. Ich versuche pointiert, manchmal vielleicht sogar überspitzt zu formulieren, um Dinge, die mir wichtig sind, deutlich zu machen. Ich nehme Zustimmung billigend in Kauf, aber eigentlich kommt es mir auf Widerspruch und kritische Debatten an. Nur in ihnen liegt der Keim für neues Denken und damit hoffentlich auch
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