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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Kritik an Europa deutlicher als Helmut Schmidt: »Europa muss nicht unbedingt eine Weltmacht werden wollen. Aber ein bisschen mehr Einigkeit wäre schon wünschenswert. … Es hätte gereicht, die osteuropäischen Staaten in die NATO aufzunehmen. Wenn man sie aber schon alle in die Europäische Union aufnehmen wollte, so hätte man neue Spielregeln für die Gemeinschaft finden müssen. Das hat man nicht getan. Man hat das Problem auch nicht gesehen. Das ist ein schweres Versäumnis insbesondere der Außenminister jener Jahre.« 84 Eine so weit sicherlich mögliche Beschreibung der Entwicklung der Europäischen Union in Anbetracht der Probleme nach der schnellen Erweiterung der letzten beiden Jahrzehnte. Soll man aber deshalb gleich an Europa verzweifeln und alle Hoffnung für die Zukunft des Kontinents fahren lassen? Keineswegs! Politische Tatsachen anzuerkennen und sich nach ihnen zu richten, gehört zum Grundbestand einer realistischen Politik.
    In manch einer Europadebatte nimmt die Integrationsduselei allmählich groteske Ausmaße an. Sie verstellt den Blick auf die Möglichkeiten und Chancen, die Europa hat, in einer multipolaren Weltordnung seine Interessen trotz interner Meinungsverschiedenheiten zur Geltung zu bringen.
Europas historische Leistung
    Europa hat keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Die Europäische Union mag unbestreitbar ihre Probleme haben, aber sie hat auch eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen. In einer ehrlichen Bilanz kann man nur festhalten, dass es Europa und den Menschen, die in den Mitgliedstaaten der EU leben, noch nie so gut ging wie heute. In sicherheitspolitischer Hinsicht ist Europa ein Hort des Friedens, der Stabilität und der Sicherheit, eine Insel der Glückseligen in einem Meer der Krisenregionen. In Zentralasien und im Südkaukasus, im Nahen und Mittleren Osten und nicht zuletzt in Nordafrika, in allen unmittelbaren Nachbarregionen also, wissen die Menschen aus eigener leidvoller Erfahrung, was es heißt, in unsicheren Zeiten zu leben. Europäer haben diese Erfahrung über Jahrhunderte auch gemacht, aber offensichtlich vergessen, was es wirklich bedeutet, in Kriegs- und Konfliktsituationen zu leben. Nach zwei Generationen friedlichen Zusammenlebens sind diese Erfahrungen längst Geschichte, vergangen und vergessen. Nie in seiner Geschichte haben die Menschen in Europa mit voller Überzeugung daran glauben können, dass Krieg kein Mittel der Politik zwischen ihren Staaten mehr ist und man deshalb mit seinen jeweiligen Nachbarn friedlich und kooperativ umgehen muss. Nach der mühsamen Befriedung des Balkans in den 90er-Jahren bleiben militärische Einsätze der Stabilisierung benachbarter oder strategisch sensitiver Weltregionen vorbehalten.
    Und wer in Europa kann sich wirklich vorstellen, dass es noch einmal einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich um Elsass-Lothringen geben könnte? Oder militärische Auseinandersetzungen mit Polen um die Oder-Neiße-Linie? Oder im schlimmsten Falle eine militärische Auseinandersetzung mit Russland? Wenn wir ehrlich sind – wir können es uns nicht mehr vorstellen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass dieses einer der wesentlichen Erfolgsmomente der europäischen Entwicklung der letzten 60 Jahre ist. Es lohnt sich innezuhalten und dieses bewusst anzuerkennen, um zu wissen, aus welcher Perspektive man eigentlich die Fragen zukünftiger Sicherheit und Entwicklung in Europa diskutiert.
    Dasselbe gilt für den wirtschaftlichen Wohlstand, den es bei allen Unterschieden zwischen einzelnen Staaten und Regionen in Europa gibt, natürlich in Anerkennung der Tatsache, dass die EU an der Verwundbarkeit ihres wirtschaftlichen Systems und manch ein Staat im Augenblick an den Folgen finanzpolitischer Sünden der Vergangenheit schwer zu tragen haben. Dennoch: Auch wirtschaftlich ging es den Europäern nie so gut wie heute. Es lohnt sich, gelegentlich einmal außerhalb Europas zu reisen, aber auf das angenehme Flair von Luxushotels zu verzichten und mit offenen Augen durch die Straßen von Städten in anderen Teilen der Welt zu gehen. Was man dann zu sehen (und zu riechen) bekommt, sollte eigentlich als heilsame Erfahrung dienen, um die uns selbstverständlich gewordenen Leistungen Europas in einem anderen und gelassenen Licht sehen zu können.
    Wer mit solchen Erfahrungen nach Europa zurückkehrt und den Blick auch ein wenig von außen auf diesen Kontinent richtet, wird gar nicht anders können, als die Europakritik aus einem

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